Klassen
100 Jahre Nationale Kreuzerklassen

WH

Teil 1

„In der Schifferstube des Potsdamer Yacht Clubs entstanden die ersten Pläne zur Schaffung der nationalen Kreuzer-Klassen. Der seinerzeitige Vorsitzende August Mütze und sein Stellvertreter Heinrich Rauchholz waren dort häufig in Überlegungen vereint, welche Wege der deutsche Segelsport gehen müsse, um den Wettfahrtsport auf breitere Basis zu stellen. Die Yachten der internationalen R-Klasse waren hierfür wegen ihres teuren Baues und geringer Wohnlichkeitseinrichtungen nicht geeignet. Vorbildlich dagegen schien eine Kreuzerklasse zu sein, die sich an die früheren deutschen SL-Kreuzeryachten anlehnte.“ (Aus: 50 Jahre PYC)

Der Plan reifte und auf dem XX. Deutschen Seglertag 1911 - vor einhundert Jahren also - stellte der Potsdamer Yacht Club den Antrag:
„Um einem allseitig gefühlten Bedürfnis abzuhelfen, ist zur Hebung der Rennsegelei auf deutschen Binnengewässern eine rennfähige Kreuzerklasse zu schaffen, deren Größe etwa den 6 - 7 SL Kreuzern des alten Meßverfahrens entspricht. Die Festsetzung der etwa notwendigen technischen Bezeichnungen ist einer hierzu zu ernennenden fünfgliedrigen Kommission zu überweisen.“
Mütze begründete alsdann ausführlich den Antrag: Die Mehrzahl der Verbandsvereine hätten sich auf eine Anfrage des Potsdamer Yacht Clubs zustimmend zu dem vorliegenden Antrag geäußert. Es sei nicht beabsichtigt, das alte Segellängen-Meßverfahren wieder einzuführen, aber es müsse Rücksicht genommen werden auf die deutschen Revierverhältnisse und auf die überwiegende Mehrzahl deutscher Segler, die den Wunsch haben, Regatten zu segeln, aber extreme Rennyachten ablehnten.

Geheimrat Busley erklärte im Namen des Vorstandes des Deutschen Seglerverbandes, der Antrag müsse zu einer gefährlichen Durchlöcherung des internationalen Messverfahrens, - gemeint sind damit die Bestimmungen für die mR-Klassen, also der 6er, 8er, 12er -, führen und deshalb könne er dem Antrag nicht zustimmen. Der Kaiserliche Yacht Club nahm eine ähnlich ablehnende Stellung ein. Es entstand eine heiße Debatte, in der hart um die Einführung nationaler Klassen gekämpft wurde, wie es im Jahrbuch des PYC heißt.
Schließlich wurde durch die Abstimmung gegen alle 22 Stimmen des Kaiserlichen Yacht Clubs die Einführung von nationalen Kreuzerklassen beschlossen. Eine siebengliedrige Kommission, der August Mütze, Professor Schilling, Otto Protzen, Geh.Rat Dr. Rieß, Franz Wentzel, Krey und Ilgenstein angehörten, wurde ernannt, die in gemeinschaftlicher Beratung mit Vorstand und technischer Kommission des Deutschen Seglerverbandes die Bauvorschrift noch vor Ablauf des Winters 11/12 festlegten.
Als erste nationale Kreuzerklassen entstanden hieraus „der 45qm Kreuzer für Binnenfahrt und der 75qm Kreuzer für Seefahrt“.

Angemerkt sei: Der Beschluss für die nationalen Klassen fiel vor dem Hintergrund und wohl auch als Reaktion darauf, dass - ebenfalls - 1911 der Konkurrenzverband Deutscher Segler-Bund gegründet wurde mit dem ausdrücklichen Plan der „Pflege und Förderung volkstümlichen Segelsports, des Fahrten- und Wettsegelns auf Binnengewässern, der Küste und der See“. Für die Fahrtensegler etablierte sich gleichfalls 1911 der Kreuzeryacht-Verband. Im Focus des DSV: Segeln als Herrensport in gesellschaftlicher und finanzieller Exklusivität. DSV-Gerschäftsführer Andriano schrieb 1930 in einem Rückblick: „Der Segler-Verband hat vielleicht doch etwas spät die Notwendigkeit der Anerkennung des Segelsports auch in einfacherer und einfachster Form erkannt und wohl auch zu wenig der kleinen Binnensegelei seine Aufmerksamkeit zugewandt.“ Wohl wahr.



Die nationalen 45-qm-Kreuzeryachten: 33 „Svea“ (L. Lind, PYC), 34 „Anders“ (M. Quadfasel, PYC), 32 „Gipst“ (J. Gipkens, PYC), 31 „Kasper II“ (Caspary, SV. 03) im Kampfe um den dem PYC vom Prinzen Eitel Friedrich für die Wettfahrten 1913 zur Verfügung gestellten Pokal.


Nationale Kreuzer versus Meteryachten

Der Antrag auf Schaffung der Nationalen Kreuzerklassen richtete sich in erster Linie gegen die Meter-Klasse (der First Rule!).
Die Boote der internationalen Formel waren für die Berliner Leichtwindreviere zu schwer gebaut, dadurch zu träge und vielen Seglern zu kostspielig. Nach ihrer meist nur kurzen Rennkarriere ließen sich die schlanken Rennyachten nur schwerlich zu wirklich bewohnbaren Kreuzeryachten umbauen. Für große (damals gaffelgetakelte!) Rennbesegelung konstruiert, waren die gewichtigen Boote mit einem handigeren Fahrtenrigg temperamentlos.
Henry Rasmussen fasste seine Vergleiche so zusammen: „In erster Linie waren die beiden nationalen Klassen als Ersatz für die übertakelten internationalen R-Yachten gedacht, die wenigstens in den kleineren Klassen keine Bequemlichkeiten mehr boten.
Die nationalen Kreuzer waren für die damaligen Zeiten im Vergleich zu den übertakelten R-Yachten mäßig besegelt.:
6mRYacht - 45qm-Kr. - 8mRYacht - 75qm-Kr.
LWL - 6,00 - 7,50 - 8,00 - 8,75
Breite - 1,60 - 2,2 - 2,3 - 2,7
Tiefgang - 1,2 - 1,2 - 1,5 - 1,5
Segelfläche - 69 - 45 - 110 - 75

Die Geschwindigkeit der 45er und 75er war im Durchschnitt annähernd dieselbe wie die der 6er und 8er. Bei kräftiger Brise waren die Nationalen Kreuzer schneller, bei Flaute dagegen die übertakelten R-Boote.“ (Yacht 1934, 13, 10)

Schiffbau-Ing. Ilgenstein: „Mir fällt das Urteil eines erfahrenen Seglers ein, der erst 10m Segellängenyachten und dann 10m Segelmeteryachten in vielen Wettfahrten erfolgreich steuerte. Er erklärte, die mangelnde Anfangsstabilität der Segelmeterboote wäre ein Grundübel schlimmster Art. Diese Boote legten sich immer erst 45 Grad über, bevor sie zu laufen anfangen; das Arbeiten auf dem Vorschiff erforderte daher ähnliche Akrobatengewandtheit wie das Kanusegeln. Viel schlimmer erscheint mir aber bei der Segelmetermessformel der unentwegte Kampf um die Oberhand zwischen Bleiballast und Segelfläche, bei dem der Geldbeutel des Seglers dauernd der Leidtragende ist. Und so bleibe ich denn dabei, mir sind die Boote mit Formstabilität lieber und wertvoller als jene Bootstypen, die ihre Segelfläche nur mit Hilfe eines gewaltigen Bleiklumpens zu tragen vermögen, ohne deshalb eine höhere Geschwindigkeit zu erreichen als die Boote mit wenig Blei, geringerer Besegelung und besserer Formstabilität.“ (Yacht 1916, 15, 194)


Bauvorschriften

Die Bauvorschriften für die nationalen Kreuzerklassen legten fest: eine Höchstbeschränkung der Segelfläche, des Tiefganges und des Verhältnisses von Länge über Alles zu Länge in der Wasserlinie, Mindest- und Höchstmaße für den Freibord und eine Mindestbeschränkung für das Baugewicht, für verschiedene Maße der Kajüte und für die Wohnlichkeitsvorschriften. Innerhalb dieser Begrenzungen hatten die Konstrukteure viel Spielraum, um ihre optimale Schiffsform zu konstruieren. Selbst der Bau der Kreuzer als Schwertboot wäre möglich gewesen.
Im Gegensatz zur rein mathematisch aufgebauten mR-Formel waren die nationalen Kreuzer Grenzklassen.






Noch Anfang 1912 gab der PYC-Vorsitzende August Mütze Auftrag auf Bau eines nationalen 45qm Kreuzers (Wunsch II), der bereits im Frühsommer 1912 von der Yachtwerft Max Oertz abgeliefert wurde. In den nun folgenden Wettfahrten hatte „Wunsch II“ den ebenfalls für Berliner Rechnung gebauten nationalen 45qm Kreuzer Humba zum Gegner. Wunsch II ersegelte in 16 Wettfahrten des Jahres 1912 12 Preise und wurde damit die erfolgreichste 45qm Kreuzeryacht der neuen Klasse.
August Mütze formulierte seine Erfahrungen:

Wunsch II wurde gebaut als Probe auf das Exempel der Bestimmungen, welche in so kurzer Zeit eifriger Arbeit der Kommission durch den Vorstand des D.S.V. herausgegeben worden sind.
Um es vorweg zu nehmen, scheint mir diese Probe nicht schlecht ausgefallen zu sein. Dies ist mein Urteil trotz einzelner offener und versteckter Hiebe, welche den nationalen Kreuzern seitens mancher Kritiker versetzt worden ist, die sich immer noch für das allein selig machende R-Verfahren ins Zeug legen.

Was sollte denn erreicht werden?
Wir wollten wieder Kreuzer haben! Nun, dass Wunsch II ein Kreuzer par excellence, sowohl hinsichtlich seiner Handigkeit wie der Abmessung und Ausstattung der Innenräume ist, darüber habe ich nur ein bejahendes Urteil gehört von allen Seglern, die mit dem Fahrzeug in Berührung gekommen sind.
Es dürfte doch wohl ein Vorteil sein, ein Schiffchen mit einer so überraschend geräumigen Kajüte, ausgestattet mit den bequemsten Schlafeinrichtungen usw., zu haben, das bei einer händigen Takelage von 45 qm die gezeigten Geschwindigkeiten zu entwickeln vermag,
Die Yacht hat sich jedem Wetter gewachsen gezeigt, wofür ja auch die Herbstwoche der beste Prüfstein war, sie ist an unseren schwersten Tagen absichtlich, nicht nur „aus Bequemlichkeit“, teils mit Vollzeug, teils gerefft gesegelt worden, wurde aber immer mit den gegebenen Verhältnissen bequem fertig.

Dass mit dem Typ, wie er augenblicklich vorhanden ist, ein hochinteressanter und schnittiger Sport geliefert werden kann, haben ja alle Rennen, in denen Wunsch gegen „Humba“ gestartet hat, für jeden, der sich dafür interessiert hat, klar bewiesen.
Ob dabei der Kreuzer auf 12 oder 13 Seemeilen einige Minuten schneller oder langsamer wie die Sechser-Klasse ist, muss bedeutungslos erscheinen.

Was die Schiffsform anbelangt, so kann ich nicht rechnerisch nachprüfen, welche Wasserlinienlänge für die Segelfläche von 45 qm die günstigste ist, glaube auch, dass eine derartige Kenntnis wohl zum Teil Erfahrungssache sein muss.

Wenn sie vergrößert wird, dürfte die Yacht allerdings wohl kaum so gute Eigenschaften bei ganz leichtem Wind und vor Wind entwickeln. Andererseits weist ein etwas längeres Schiff auf gute Kreuzeigenschaften hin. Die Formen sind aber in allen Fällen so scharf wie möglich zu halten, denn es hat sich gezeigt, dass eine ganz überraschend große Stabilität vorhanden ist, die sowohl als Anfangs- wie als Endstabilität in Erscheinung tritt.
Größere Überhänge anzustreben, würde aus denselben Gründen nur damit erklärlich erscheinen, eine für unser Auge noch gefälligere Schiffsform erzielen zu wollen. Dies Bestreben dürfte jedoch völlig überflüssig sein, denn wir müssen uns vergegenwärtigen, dass uns der Typ nur „dick“ eventuell „plump“, wie man sich wohlwollend zu äußern beliebte, erscheint, weil unser Auge augenblicklich an andere Formen gewöhnt ist.
Objektiv aufgefasst, kann dabei nur die Frage ausschlaggebend sein, ob der Rumpf eine zweckmäßig gesunde Schiffsform darstellt oder nicht.
Da die Linien vorläufig keine unästhetischen Auswüchse zeigen, wird sich das Auge schnell daran gewöhnen...

Ich kann nur der Hoffnung Raum geben, dass die Kommission mit ihren Bestimmungen ihren Willen erreicht haben möge, eine extreme Ausgestaltung des Typs verhindern zu wollen.


Der erste Nationale 45qm Kreuzer "Wunsch II" - entworfen und gebaut von Max Oertz 1912

Die mit Spannung erwarteten Kreuzer fanden eine gute Beurteilung, nicht nur durch August Mütze, sondern auch in den Augen weiterer Segler. Die 45er waren zwar bei flauen Winden nicht so schnell wie die 6 mR Yachten, aber bei mittlerem Winde diesen gewachsen und bei viel Wind ihnen in jeder Beziehung überlegen. Die Klasse hatte vollauf die an sie gestellten Erwartungen erfüllt.


Weitere Stimmen zur neuen Klasse:

E. Eichholz, Hamburg, Eigner der Rigoletto IV:
„Ich selbst habe nur die 45 qm-Kreuzeryacht des Herrn Wustrau in Kiel und die Montana des Herrn D. Ahlemann, Bremen, gesehen. Ersteres Fahrzeug weicht sowohl von den Berliner Typen, von denen ich Photographien gesehen habe, sowie von dem Bremer und Hamburger Typ ab, ist billig und einfach gebaut. Der Bremer ist, wie meine Yacht, aus Mahagoni, aber drinnen absolut und augenscheinlich darauf gebaut, leicht zu sein, um im Rennen zu dienen, und infolgedessen ist die Bremer Yacht als Wohnfahrzeug, wofür diese Klasse doch eigentlich gebaut ist, vollkommen unbrauchbar (na, na! Anmerkung der damaligen Yacht-Redaktion).
Mein Fahrzeug ist drinnen auf das beste eingerichtet, mit Schränken, Fächern, bequemen Betten; ausserdem habe ich noch unter dem wasserdichten Cockpit zwei Hundekojen, einen aufstellbaren Tisch, sowie sämtliche Einrichtungen, welche irgendwie für die Bequemlichkeit zum Wohnen dienen können. Ich habe meinem Fahrzeug in diesem Sommer eine 14-tägige Ostseetour gemacht, bei welcher es sich glänzend bewährt hat, so dass ich mich veranlasst sehe, im nächsten Sommer eine fünfwöchige Ferientour damit anzutreten.

Es ist ein Fahrzeug, welches bei Flaute schlecht vorwärts zu bringen ist, und da ist mir der Bremer zweifelsohne ausserordentlich überlegen, dagegen hat sich mein Boot bei Gewitterstürmen und bei schlechtem Wetter der letzten Herbsttage nicht nur glänzend bewährt, sondern sich auch dem Bremer als entschieden überlegen gezeigt.
Abgesehen von der kleinen Besegelung , welche jedem als etwas zum Boote Unproportioniertes auffällt, sieht das Fahrzeug schmuck und rennmäßig aus.

Meine Überzeugung geht dahin, dass die Klasse ganz entschieden Zuspruch verdient und auch finden wird. Allerdings hätte es 5 oder 10 qm mehr Segelfläche gern vertragen können, ohne die Idee des Typs, dass es ein bequemes Tourenfahrzeug sein soll, ernstlich zu beeinflussen. Es wäre alsdann etwas schnellere Fahrt und ein proportionierteres Aussehen gewährleistet, ohne dass meiner Ansicht nach das Fahrzeug in Anbetracht der Breite und des Tiefganges, sowie des Ballastes irgendwie rank geworden wäre.

Meine Yacht ist von der hiesigen Werft H. Heidemann gebaut, mag etwas schwerer als der Bremer und vielleicht auch als die Berliner gebaut sein. Sie ist äusserst solide, hübsch und gefällig.“


1913

Der PYC warb auch 1913 weiter intensiv für die neuen Kreuzerklassen, seine Mitglieder ließen vier 45er-Neubauten folgen und einen Neubau für die 75qm Klasse, Sturmgesell, dem im Jahre 1914 „Woglinde II“ folgte.

Um der Neubautätigkeit weitere Anregungen zu geben, schrieb der PYC 1913 einen vom Prinzen Eitel Friedrich zur Verfügung gestellten wertvollen Saisonpreis für die Wettfahrten der nationalen 45qm Kreuzerklasse aus. Die Beteiligung in der Frühjahrswoche 1913 war gleich sehr groß. Es meldeten bereits 8 Neubauten. Im Kampfe um den Saisonpreis lagen am Schluss des Jahres die nationalen 45qm Kreuzer Kaspar (Caspary, SV 03), Anders (Quadfasel, PYC.) und Gipsy (Gipkens, PYC.) führend an der Spitze. Erst in der letzten Wettfahrt der Berliner Herbstwoche wurde der Kampf zwischen Kaspar und Anders zugunsten des ersteren entschieden. Ein heißes, spannendes Ringen bis zum Schluss.


Schiffbauliche Entwicklung

Muldenförmig flacher Rumpf mit verhältnismäßig großen Abmessungen in Verbindung mit einer kleinen Verdrängung - das sind die Hauptmerkmale der nationalen Kreuzer, vornehmlich des 45ers.

Im Laufe der Zeit wurden nun die Überhänge und die Länge der Wasserlinie LWL dieser Rümpfe immer größer. Beide Größen waren in den Konstruktionsbestimmungen nicht festgelegt worden: Eine Einladung an Konstrukteure wie von Hacht, Heidemann, Jaekel, Hertz, Rasmussen, Rehfeldt, Schröder, Stein, Wustrau, sich der Bootslängen anzunehmen. Die Entwicklung zeigt die folgende Tabelle:

Yacht - Baujahr - Konstrukteur - Länge - LWL - BWL - Tiefgang

Wunsch II 1912 Oertz 8,38m 5,65m 2,08m 1,12m
Kaspar II 1913 Stein 10,05m 6,83m 2,04m 1,19m
Humba 1914 Neesen 10,49m 7,52m 2,00m 1,20m
Quos ego 1924 H. Rasmussen 10,50m 7,50m 2,03m 1,20m


Ausgangspunkt bei den Konstruktionsbestimmungen von 1911/12 war, neben der Festlegung von Mindestdeplacement, Maximalsegelfläche, Mindestbreite und Maximaltiefgang, weitere nicht unbedingt nötig erscheinende Einschränkungen zu vermeiden. Ende 1913, nach zwei Saisons, war allerdings die Längenentwicklung klar, wie Wustrau schreibt: „Sowohl die 45 als auch die 75qm Kreuzer sind länger und länger geworden, ganz besonders aber die ersten. Es fragt sich nun, ob das bereits in einem solchen Umfange geschehen ist, dass die neuesten nationalen Kreuzer die Bezeichnung ‚extreme Rennyacht‘ verdienen. Vorläufig ist das noch glatt zu verneinen“. Zu bedenken sei aber, dass ein weiteres Anwachsen der Länge nicht wünschenswert sei: „Die Boote werden dann nämlich in ihren Verbänden etwas schwach, weil die Vorschriften des Germ. Lloyds Abmessungen der einzelnen Verbandsteile vorschreiben, ohne auf ein Größerwerden des Bootsrumpfes, insbesondere das Längerwerden des Vor- und Hinterschiffes, Rücksicht zu nehmen.“

1916 - inmitten des ersten Weltkrieges - aber ist es endgültig soweit, neue Vorschriften wurden verabschiedet.
Erster Unterschied: Heraufsetzung der Verdrängung um 200 bzw. 600 kg, ein Beschluss der in zweiter Lesung im zuständigen Ausschuss des Seglerverbandes nur mit einer Stimme Mehrheit angenommen wurde.
Und die einschneidendste Veränderung: Die Festsetzung der größten Länge auf 10,50 und 12,50m. „Wenn auch die Wahl dieser Zahlen als eine gewisse Willkür erscheint, so entsprechen diese doch guten Mittelwerten bestehender Fahrzeuge und den neueren Bestimmungen des Germ. Lloyd in Bezug auf die dafür zugelassenen Materialstärke,“ heißt es in der „Yacht“. Die Redaktion schreibt weiter (1916, 31, 378): „Wenn auch etwas radikal, beseitigt diese Bestimmung die hauptsächlichste Beschwerde gegen die nationalen Kreuzer: Das ständige Wachsen ihrer Länge. Ein Entgegenkommen findet der Konstrukteur dafür in dem vom 1,5 auf 1,4 - 1,5 heraufgesetzten Verhältnis der größten Länge zur Wasserlinienlänge, wodurch es möglich gemacht ist, die absoluten Wasserlinienlängen der erfolgreichsten Fahrzeuge zu erreichen. Allerdings erfolgt eine neue Bindung durch die auf 0,2 der Wasserlinienlänge begrenzte Länge des vorderen Überhanges. Diese ergibt bei Fahrzeugen mit langer Wasserlinie (1,4:1) annähernd gleich lange Überhänge vorn und achtern; bei solchen aber, mit kurzer Wasserlinie (1,5:1) einen um mehr als 50% längeren Hecküberhang gegenüber dem vorderen Überhang.
Neu und von ziemlicher Bedeutung ist ferner die Vorschrift, dass der Schmiegenumfang am Beginn der Wasserlinie nur 1,25 des Freibordes an dieser Stelle betragen darf. Dadurch werden völliger Bugformen unterbunden und es wird vermutlich eine gewisse Uniformität der Fahrzeuge eintreten. Von den Seeseglern wurde aber auf dieser Forderung bestanden, um für See geeignetere Formen zu erzwingen. Da eine Einigung nicht erzielt wurde, brachte die Abstimmung die Entscheidung.“



45er P4 Condor

1912 wurde die Pelikan“(P 4) von Max Oertz gezeichnet und in seiner Werft in Neuhof-Hamburg gebaut. Auftraggeber für die „Pelikan“ war ein Mitglied des Augsburger Segler-Clubs (ASC), Ritter Albert von Forster. Die Yacht wurde speziell für sein Segelrevier, den Ammersee, als schneller Binnensegler für Leichtwinde gebaut, was ihre extrem kurze Wasserlinie von 5,71 m erklären könnte. Die übrigen Maße der Pelikan waren: Länge über alles 8,39 m, größte Breite 2,23 m und Tiefgang 1,13 m.
1917, der Ritter war gestorben, ging die Yacht in das Eigentum einer Eignergemeinschaft aus Mitgliedern des ASC über, die später das Boot - in den Reihen des Vereins - weiterverkaufte.

Ab 1946 wurde die Condor als Schulschiff von der „Bayerischen Segelschule“ in Dießen verwandt, ging dann 1952 in den Besitz der „Bayerischen Seglervereinigung e.V.“ über, verließ Dießen und fand eine neue Boje vor Riederau. Die Condor war das erste Boot des Vereins, damit auch sein Identität stiftendes Flaggschiff, und so ist es bis heute geblieben.

1960 baute die Bootswerft Steinlechner für das gaffelgetakelte Schiff einen neuen, hochgetakelten Holzmast mit einer „Diolenbesegelung“ ein. Ein neues Deck und viele neue Spanten folgten. 1998 wurde das Heck wieder aufs ursprüngliche Maß gebracht. 1999 folgte wiederum ein neuer Mast: „Der Mast wurde für den Verein kostenneutral über Spenden finanziert... Die Segeleigenschaften haben sich durch das verminderte Gewicht, die Elastizität, die neue Backstagenführung und das Zweisalingrigg wesentlich verbessert. Die ehemals ranke Yacht Condor ist im Feld der Nationalen Kreuzer zu einer der stabilsten geworden.“

Bärbl Schuler ist es zu verdanken, dass die Geschichte der Condor in seltener Ausführlichkeit dokumentiert ist:
www.fky.org/yachten+segler/yachtportraits/condor.html




Segelriss eines 45qm Nationalen - 1912


Linienriss und Einrichtungsplan eines 45qm Nationalen - 1913


75er O12 Vinga wird im Herbst 2011 wieder segeln

Die aufwändige Restaurierung - eigentlich ein Neubau - durch die Michelsenwerft in Friedrichshafen ist nahezu abgeschlossen. Die „Herbstregatta“ der 75er auf dem Bodensee soll die Vinga mitsegeln und danach auf der Messe Friedrichshafen gezeigt werden.

Vinga wurde originalgetreu wiederhergestellt. Werftchef Hans-Joachim Landolt lagen aus dem A&R-Archiv alle Originalpläne von 1914 vor. Diesen konnte der Bootsbaumeister entnehmen, dass der Rumpf im Laufe der Zeit durch diverse frühere Umbauten 20 Zentimeter zu breit und 10 Zentimeter zu hochbordig war. Viele Beschläge und Teile der Ausrüstung wie Bullaugen, Eisschrank und das WC blieben erhalten. Das Rigg musste hingegen neu gebaut werden.

Vollständig recherchiert ist die bewegte Geschichte der Vinga, die 1914 als Erika III im Auftrag eines Seglers vom Wannsee, Dr. Martin Freund, vom Stapel lief. Noch im selben Jahr verkaufte er es an Geheimrat Hofrat Dr. Krönig aus Konstanz, der das Schiff an den Bodensee holt, auf den Namen Ruth tauft und dort bis 1918 segelt. Dann holt Emil Wiese die Ruth ex Erika III als Loreley nach Hamburg in den Norddeutschen Regattaverein. 1919 erwirbt Max Treess das Schiff und gibt ihm den Namen Erika zurück. Der nächste Eigner tauft die Yacht 1920 Wega, 1924 wird sie weiterverkauft und heißt nun Matho II. Während des Zweiten Weltkriegs verschlägt es das Schiff an die Ostsee nach Timmendorfer Strand, dort wird es auf den Namen Vinga II getauft. 1955 kauft die Baltische Seglervereinigung Hamburg für 6000 Mark die Yacht und benutzt sie als Clubschiff. Da der achterliche Übergang rott ist, wird dieser etwas gekürzt. Das ehemals 11,70 m lange Schiff ist jetzt nur noch 11,58 m lang. 15.304 Seemeilen legt die Vinga III bis 1963 zurück. Nach einigen Zwischenstationen landet das Schiff in Berlin, wo es 2007 in den Besitz des heutigen Eigners übergeht.

Richard Volz hat das Schiff aus reinem Enthusiasmus erworben und an den Bodensee gebracht. Da er schon einen 75er besitzt, sucht er einen neuen Eigner, der das Boot auf dem Schwäbischen Meer segeln will. Hier liegen bereits 15 der 21 europaweit noch existenten Yachten dieser Klasse. Kontakt: www.75qmkreuzer.de


Fotos: Michelsen-Werft

Bauwerft/-jahr Abeking&Rasmussen/1914
Klasse 75-qm-Nationaler-Kreuzer
Konstrukteur Henry Rasmussen
Lüa 11,70m
Breite 2,70m
Tiefgang 1,50m
Segelzeichen O 12





Renn-Rigg eines 75qm Nationalen- 1912


Linienriss und Eichtungsplan eines 75qm Nationalen - 1912


Weitere Klassen: 35 und 125qm

Mit den neuen Konstruktionsbestimmungen für die 45er und 75er wurde 1916 auch die Geburt zweier weiterer Klassen, der 35qm und der 125qm nationalen Kreuzerklassen, eingeleitet.
Der erste 35er wurde allerdings erst 1919, der erste 125qm nationale Kreuzer 1921 gebaut.
Sie sind daher auch erst Thema im nächsten Heft, wenn es um die Blütezeit der Nationalen geht, die 20er Jahre. Diese wurden nach dem I. Weltkrieg aus vielerlei sportpolitischen Gründen, die noch erörtert werden sollen, zum Rückgrat des Klassensystems des Seglerverbandes. Die Bautätigkeit erreichte 1925 ihren Höchststand. Damals waren beim D.S.Vb neunundsiebzig 35er, einundneunzig 45er, dreizehn 60er, fünfunddreißig 75er, vier 125er und eine nationale 250qm-Kreuzeryacht registriert.

Die unten abgedruckte Zeichnung eines 125ers mit Kuttertakelage hatte übrigens Henry Rasmussen 1916 für die Besprechung dieser Klasse angefertigt. Rasmussen: „Ich hatte besonderen Wert auf ein yachtmäßiges Aussehen gelegt, doch leider wurde dieses dadurch unmöglich gemacht, daß die LWL für die endgültigen Vorschriften um 1 vergrößert wurde, ohne gleichzeitig die Überhänge zu verlängern. So entstanden Linien, die sich nicht annähernd mit dem Vorentwurf messen können.“


Segelriss eines 125qm Nationalen


U und L

In die Anfangsjahre der nationalen Kreuzerklassen bis 1918 fällt auch die Gründung zweier weiterer Klassen, der 26qm(später 30qm) - Küsten - Rennklasse (U) und der 30qm Binnen - Renn - Klasse (L) -, der kleinen Verwandten der nationalen Kreuzerklassen: Auf dem 21. Seglertag 1913 stellte wiederum der Potsdamer Yacht Club unter Beteiligung der Vereine Akademischer Seglerverein, Berliner Yacht Club, Segel Club Ahoi, Zeuthener Seglerverein, Segelvereinigung 03 und Verein Seglerhaus am Wannsee einen Antrag auf Schaffung einer offenen nationalen Bootsklasse von 30 qm Segelfläche.
„Die Bestimmungen für diese Klasse sollen sich auf ähnlicher Basis bewegen, wie für die nationalen Kreuzerklassen, das heißt, es soll tunlichst eine Maximalbegrenzung der Segelfläche und des Tiefganges, sowie eine Minimalbegrenzung des Gesamtgewichtes und der Breite bei Festlegung eines gewissen Rauminhalts stattfinden. Der Deutsche Seglertag 1913 wolle eine siebengliedrige Kommission wählen, welche die vom Vorstande zu erlassenden Bestimmungen schnellstmöglichst ausarbeiten soll, so dass Bauaufträge noch rechtzeitig für die Saison 1914 erteilt werden können.“
Wieder war es August Mütze, der den Antrag begründete. Er führte unter anderem aus, dass die Klasse zur Ausfüllung der Lücke zwischen der 45qm Kreuzer und der Jollenklasse gedacht sei. Man wolle einen Flossenkieler, aber keine Jolle haben, und der aufgetauchte Plan, auch diese Klasse mit Kajüte auszustatten, läge den Berliner Absichten völlig fern.

Henry Rasmussen schrieb später: Die L-Boote sollten „in erster Linie ein Ersatz für die Sonderklasse darstellen. Die Sonderklasse wurde zu teuer. So wurden die Dreißiger ein hervorragender Ersatz für die sehr beliebte Sonderklasse... Leider erwies sich die Bauart für die See als zu schwach, so dass die Yachten eigentlich nie über die Grenzen der Binnenreviere hinaus heimisch geworden sind.“

Bis Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 wurden sechzehn 30er gebaut. Der große Aufschwung begann auch bei dieser Klasse nach dem Kriege. 1924 hatte die Klasse mit 91 beim D.S.V. registrierten Schiffen ihren Höchststand erreicht. Am intensivsten wurde die Klasse auf Berliner Seen gesegelt.

Was die Küsten-Renn-Klasse (U), gedeckte Kielschwertboote mit großer Plicht, betrifft, waren diese vor allem in Eckernförde und auf den Masurischen Seen beheimatet. Die Klasse hat sich dort über viele Jahre noch gehalten, Harald Sulkiewicz berichtete in einem frühen Mitgliederblatt des Freundeskreises über die Entwicklung der Eckernförder Flotte.
Die sog. U-Jolle galt als billiges Boot für die Küste im Typ der Fischerboote. Ursprünglich besaß das Boot 26qm Segelfläche, erhielt aber später auf Betreiben der Binnensegler eine Segelfläche von 30qm, wodurch das ursprünglich sehr gute Boot übertakelt wurde und damit an Wert bedeutend verlor. Henry Rasmussen: „Der Entschluss zur Vergrößerung der Segelfläche bedeutete das Ende dieser an und für sich sehr schönen Klasse.“


Teil II, die Fortsetzung unserer Geschichte der nationalen Kreuzerklassen, veröffentlichen wir demnächst auf dieser website. Thema ist die Blütezeit der Nationalen, wir stellen einige dieser Boote aus der Yachtliste des Freundeskreises vor und berichten von der Renaissance der Klassen in den letzten Jahren.



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