150 Jahre Yachtsport
Rundreise: Die Yacht emanzipiert sich: Die kleineren Kielboote


Slup Gloriana, 1891 (Aus: Sciarelli, Die Yacht)

Die Großen gaben in dem immer lebhafter werdenden Konzert des Yachtsegelns gewissermaßen den Generalbass an; bei den Kleineren ging es lebhafter zu, eignen sie sich doch schon aus finanziellen Erwägungen eher für gewagte Versuche.

Anfang der 90er Jahre machte Herreshoff mit 2 Booten Furore, der Gloriana und der Dilemma. Erstere maß 21,4 m über alles und nur 13,85 m in der Wasserlinie, sie war tief und nur 4 m breit mit über 400 m2 Segelfläche. Die für die Berechnung des Rennwertes so wichtige Wasserlinienlänge hatte einen damals unerhört niedrigen Wert. Das Unterwasserschiff war stark beschnitten, und die feinen Linien des in einen ganz neuartigen „Löffelbug" auslaufenden Vorschiffs hatten einen besonders günstigen Verlauf. Das Boot wurde ein enormer Erfolg.

Slup Gudruda, 1892 (Aus: Seglers Handbuch, 1897)

Mit der Dilemma führte Herreshoff die Ausnutzung der damals geltenden Formel konsequent weiter. Es war eine Slup mit spindelförmigem und überaus leichtem Rumpf, unter dem der wulstförmige Ballast an einer an den Rumpf gebolzten Platte aufgehängt war. Das Balanceruder war von der Kielflosse getrennt. Solche „Wulstkieler" verbreiteten sich auch bei uns schnell. Ein Beispiel dafür ist die kleine Gudruda, 1892, von Herreshoff. Das Boot hatte 11,5 m Gesamtlänge, 7,8 m in der Wasserlinie und trug eine Segelfläche von 54 m2. Es gab viel größere Boote dieser Art bis 38 m Länge in Amerika; der größte deutsche Wulstkieler dürfte 19 m lang gewesen sein. Heute lebt der reine Wulstkieler noch in Gestalt des Starbootes weiter. 1896 wurde eine neue Formel eingeführt (Näheres darüber im Abschnitt „Formeln"), die diese nicht ungefährliche Entwicklung zu immer leichteren und höher beanspruchten Booten unterband. Aus dieser Formel entstanden die großartigen Boote der Meterklassen, so genannt, weil das Ergebnis der Formel ein in Metern ausgedrückter Wert ist, der mit der wahren Länge der Yacht eigentlich nichts zu tun hat.

6 mR Sliepnir II (Foto: Kai Greiser)

Meterboote wurden z.B. in großer Zahl auf der Werft Abeking & Rasmussen gefertigt. - Henry Rasmussen, aus einer alten dänischen Bootsbauerfamilie stammend, war als junger Mann nach Deutschland gekommen und hatte 1907 die Werft Abeking & Rasmussen in Lemwerder bei Bremen gegründet. Er führte sie mehr als 50 Jahre und brachte sie mit dem Ideenreichtum seiner Konstruktionen und der Qualität der auf der Werft entstandenen Boote und Schiffe zu dem großen Ansehen, das sie heute noch genießt.

Sonderklassenyachten Tilly III, IV, X, XIV, XV, 1900 bis 1912 (DSM)

Seeregatta der Sonderklasse, 1904 Gemälde Willy Stöwer)

Eine bemerkenswerte Neuerscheinung bei den kleineren Kielbooten waren um die Jahrhundertwende die Boote der Sonderklasse. Sie entstand auf englische Anregung aus dem Bedürfnis nach einer kleinen, nur von "Amateuren" (Begriffserläuterung siehe Link) gesegelten Rennyacht. Der Gedanke stieß in vielen Ländern auf lebhaftes Interesse und wurde auch bei uns aufgegriffen und gefördert. Wilhelm II stiftete einen international sehr begehrten Preis, den die Wannsee des „Vereins Seglerhaus am Wannsee", eines der ältesten und heute noch bedeutendsten deutschen Yachtclubs, dreimal gewinnen konnte; einmal ging er in die USA. Die Sonderklasse war eine Konstruktionsklasse. Bei einer solchen werden bestimmte Maße und Verhältnisse festgelegt, im übrigen hat der Konstrukteur freie Hand, was mehr Möglichkeiten zu einer Weiterentwicklung bietet als eine Einheitsklasse mit bis ins einzelne festgelegten Maßen. Bei der Sonderklasse z. B. durfte die Summe von Länge, Breite und Tiefgang den Wert von 9,75 m nicht überschreiten, das Gewicht musste mindestens 1830 kg betragen, die Segelfläche war mit 54 m2 festgesetzt. Die Kosten durften nicht über 5100 Mark liegen; Besatzung höchstens drei Mann, und zwar „Herrensegler", keine bezahlten Leute wie auf den größeren Booten. Die Boote segelten ohne Vorgabe.

Abgebildet ist eine Reihe von Halbmodellen von Sonderklassenbooten namens Tilly, die der Bruder Wilhelms II, Heinrich, auf bedeutenden Regatten segelte. Sie überdecken die Jahre von 1900 bis 1912 und zeigen, welche Veränderungen im Rahmen einer Konstruktionsklasse möglich sind, bis sie schließlich „auskonstruiert" ist und kaum noch neue Möglichkeiten bietet. Es gibt dabei Flossenkieler mit getrenntem Ruder und unterschiedlicher Anbringung des Ballastes, die schon ganz modern anmuten. Andere Boote ähneln den Meterklassen oder nehmen gar den Schärenkreuzer vorweg. Die Wasserlinienlängen variieren zwischen 5,80 und 6,70 m, die Breiten zwischen 2,00 und 1,70 m.



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