10 kulturelles historie

Die Yacht emanzipiert sich: "Tourensegler"

Stets hat es bei der Segelei wie bei jedem Wassersport zwei Welten gegeben: die der Regatta-Fans und die der „Wanderer". Deren Boote waren immer - und sind es noch - viel „konservativer" als die der Rennsegler. Dieser muss schneller sein als sein Gegner, und er muss dafür hohen Aufwand in Kauf zu nehmen bereit sein; wir sahen das an der Sonderklasse oder den Meteor-Booten.

 

 

 

 

 

Kutter Dyarchy, 1901 (Aus: Sciarelli: Die Yacht)

 

Jener wünscht sich ein Boot, mit dem er sein Ziel sicher erreichen und auf dem man leben kann, was freilich nicht bedeutet, dass er kein Interesse an Regatten hat. Doch lässt sich aus der ganz grob umrissenen Interessenlage schon verstehen, dass der „Tourensegler", wie das damals hieß, eher dazu neigte, Bewährtes zu übernehmen, und das waren die Lotsen- und Fischerfahrzeuge, die kleinen Frachter, kurz die kleinen Segler, die zu Erwerbszwecken fuhren. Darunter waren Boote, die noch immer das Auge des Seglers erfreuen, wie die Dyarchy, 1901, vom Typ des Lotsenkutters von Bristol. K.Chatterton lobt in seinem Buch „Fore and After", einer grundlegenden Untersuchung über Schiffe mit Gaffelrigg, den „Pilot Cutter":- „Und nun kommen wir zum Bristol-Kanal, der Heimat einiger der schönsten „fore-and-after" der Welt in Gestalt der Lotsenkutter. Drei Dinge machen es, daß diese Schiffe wohl ohnegleichen sind unter den Seglern, gleich welchen Landes und Hafens... Geschwindigkeit, Seefähigkeit und Manövrierfähigkeit, und das sind die Gründe, warum dieser Kuttertyp für den modernen Yachtsegler eines der solidesten Modelle darstellt ... Ich habe diese prächtigen Boote in vollgestopften Häfen mit der Leichtigkeit eines Raters manövrieren sehen. Und außerdem sind sie so gebaut, daß sie mit jedem schlechten Wetter fertig werden können." Wir haben schon gehört, dass Boote dieser Art nicht selten vom Berufsfahrzeug zur Yacht wurden und umgekehrt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Aere Perennius, Einhand-Yacht 1885 (Aus: Sciarelli, Die Yacht)

 

 

 

 

 

Aere Perennius, Einhand-Yacht 1885 (Aus: Sciarelli, Die Yacht)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Slup Vorwärts von 1884 (Aus: Seglers Handbuch, 1897)

 

1891 wurde der aus Schottland stammende Schiffbauer Colin Archer von der norwegischen Gesellschaft zur Förderung des Fischfangs beauftragt, ein Rettungsboot für die in kleinen offenen Booten arbeitenden Lofotenfischer zu entwerfen, und 1892 wurde der erste Colin Archer gebaut. Archer löste mit seinem Entwurf die Aufgabe so hervorragend, dass die Boote bis in die 40er Jahre für die norwegische Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger im Einsatz waren. Sie werden immer noch gern gesegelt und gelegentlich wieder gebaut, heute sogar in GFK. Das Boot ist, der skandinavischen Bautradition folgend, ein Spitzgatter, mit vollen Linien und flachem Spantschnitt. Das abgebildete Boot misst 12,45 m üa, 12,4 m in der Wasserlinie; Breite 4,80 m, Tiefgang 2,3 m; Verdrängung 27 ts, Yawl mit relativ großem Besan. Was kosteten Yachten um 1905? - Kreuzer mit 6 m in der Wasserlinie etwa 4000 Mark, mit 8 m um 7000, mit 12 m um 29000 und mit 14 m gegen 40000 Mark. Merkwürdigerweise kosteten Rennyachten nur etwa 3/4 dieser Preise, wohl weil sie leichter gebaut waren. - Eine 6-m-Jolle kostete 800 Mark.

 

 

 

 

 

 

 

 

Norwegisches Rettungsboot von Colin Archer, 1909 (Aus: Sciarelli, Die Yacht)

Wir erwähnten den Unterschied zwischen den Regatta- und den Fahrtenseglern. Verständlicherweise wurde jedoch immer wieder versucht, Boote zu schaffen, die beides möglich machten. Je kleiner das Boot, um so schwieriger die Verschmelzung der beiden Kategorien.

Die Therese, von J. M. Soper 1896 als Kutter für Rothschild, Paris, in Southampton gebaut, 1903, umgeriggt zur Yawl, in deutschen Besitz übergegangen, war mit ihren 32 m Länge und 607 m2 Segelfläche ein großes Schiff, bei dem sich beides noch gut vereinen ließ. An ihr und an der Armgart, 1905 auf der Seebeck-Werft in Bremerhaven erbaut, ist zu sehen, wie schwer das Rigg dieser Schiffe war; man beachte die am Mast aufgetoppten Spinnakerbäume oder die Dimensionen von Großbaum und Gaffel. Kräftige Winschen gab es noch nicht, so musste alles über Taljen geholt werden, schwere Arbeit, die nur mit einer gut eingespielten Besatzung zu leisten war. Bei einer Regatta werden es mehr als 20 Mann gewesen sein.

Dem Bestreben nach Regattabooten mit Kreuzereigenschaften entsprangen die 1911 als Klassen des DSV eingeführten Nationalen Kreuzer. Davon gab es eine Binnenklasse von 30 m2 und auch für die See gedachte Klassen bis hinauf zu 250 m2, von denen die 45er und 75er am meisten verbreitet waren. Sie segeln immer noch auf den Seen Süddeutschlands, ab Ende der 20er Jahre wurden sie nur noch selten gebaut. Das ursprüngliche Gaffelrigg wurde in eine Hochtakelung geändert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

60qm Nationaler Kreuzer (Foto: Schröder)

 

Die mitgeteilten Preise für Yachten mögen uns niedrig erscheinen. Doch waren sie damals „ein schönes Stück Geld". Neben denen, die sich solches leisten konnten, gab es von jeher diejenigen, die kein Geld hatten, aber auch segeln wollten. Sie bauten sich ihre Boote selbst oder bauten Schiffsrettungsboote und Fischerboote aus, und neben manchem Abenteuerlichen kam - und kommt - dabei auch recht Beachtliches heraus. Prominentester Selbstbauer war der arbeits- und mittellose Kapitän Joshua Slocum mit seiner Spray, der erste Einhand-Weltumsegler. Durch Bausätze und Ausbauschalen, die reichlich angeboten werden, ist das Leben für den Selbstbauer jetzt sehr viel leichter geworden.