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"Mäusepott" - Kreuzeryacht

Text: Peter Plaschke, Foto Kai Greiser

Peter Plaschke beschreibt einen kurzen, aber sehr wichtigen Zeitraum im Leben seiner "Mäusepott":

Der zweite Stapellauf

Der Umgang mit klassischen Yachten ist eine komplexe Angelegenheit. Hier ist ein vielschichtiges Talent erforderlich, das über erlernbares handwerkliches Geschick hinaus auch angeborene Fähigkeiten auf anderen Gebieten besitzen muß. Dazu gehört zum Beispiel für den vorliegenden Bericht eine bewußt leichte Hand, die nicht mit Galgenhumor zu verwechseln, sondern als reine Schutzform anzusehen ist.

Ein gestandener Mann mit maritimen Ambitionen kauft sich entweder ein neues Schiff oder - wenn er direkt an seine Jugendsünden anknüpfen möchte - ein altes, möglichst ein sehr altes. Das könnte eine hölzerne Segelyacht aus so gutem Hause sein, daß die gern genannte Herkunft auch sachkundige Kritiker ehrfürchtig aufhorchen läßt. Man nehme etwa die Baunummer 323 von Abeking & Rasmussen, eine Kielyacht mit gut fünf Tonnen Deplacement bei 22 Füßen in der CWL und - nach einer Verkürzung in dunkler Vorzeit - von gut 32 Fuß Länge über Deck.

Die Yacht verkörpert mit ihren weiten Überhängen schon für den Laien die Klassik des Yachtbaus schlechthin. In dem heißen Kaufinteressenten läßt sie Impressionen aufkommen, die in der Nähe einer spitzetanzenden Primaballerina sind.
Über das bei den Kaufverhandlungen genannte Alter von 47 Jahren hilft weitgehend die Ästhetik der Linien hinweg, die sich auch der zweifelnden Gattin ohne männliche Unterstützung sozusagen direkt empfehlen. Ein Rest an Skepsis wird mit einer sachkundig belegten Referenz für die Werft scheinbar unschwer ausgeräumt. Man kauft und macht sich an die Überführung in den zukünftigen heimatlichen Hafen. Ein Totalausfall des Motors bei der Fähre Landwehr im Nord-Ostsee-Kanal gleich zu Beginn der Reise ist gewiß ärgerlich, kann aber als Makel des Schiffes nicht recht gewertet werden, da das Fahrzeug im Urzustand gar keine Maschine besaß- man bucht das innerlich auf ein anderes Konto.

Als sich die Neuerwerbung während der Motor-Reparatur unter Verlust der Steuerbord-Klampen durch den Sog eines Containerschiffes von dem kleinen Arbeitssteg neben der Fähre losreist, kommen erste Zweifel auf. Ob der Klassiker-Bazillus wohl stark genug ist, die Fährnisse der Zukunft zu bezwingen? So betrachtet gewinnt das Bestehen einer kleinen Feuerprobe mit dem Primus-Kocher und der Erbsensuppe fast einen positiven Charakter. Um die Standfestigkeit des neuen Eigners einer intensiveren Prüfung zu unterziehen, nutzt der Motor die Weiterreise dazu, ständig zwischen Vollgas- und Leerlaufdrehzahl auf- und abzupendeln, ohne seinen Dienst freilich ganz zu versagen (defekte Membrane in der Benzinpumpe). Nur die tröstende Anteilnahme des Berliner Mitseglers „Mit so 'ne alte Schale is det immer so" verhindern Umkehr und Wandlung. Dennoch wird im Spiegel des Büdelsdorfer Yächtclubs am nächsten Morgen die erste graue Haarsträne ausgemacht.
Die restliche Kanalstrecke wird für alle Fälle und für die strapazierten Nerven als achterer Bestandteil eines Schleppverbandes zurückgelegt: dem Eigner des schleppenden Fahrzeuges aus Cuxhaven sei heute noch Dank.

Erster Tribut an die Tradition ist die Schiffstaufe: Dabei segnet der Pastor nicht, wie zunächst vermutet, das frisch erstandene Gefährt, sondern die Mannschaft einschließlich des Eigners, der - wie sich alsbald herausstellt - des Segens in besonderer Weise bedarf. Durch die Überholung des Motors ruhiggestellt, entwickeln sich Aktivitäten mehr im historischen Bereich. Sie werden in unerwarteter Weise durch die beispielhafte Unterstützung der Bauwerft dergestalt belohnt, daß sich die Bauzeichnungen mit der Signatur des Konstrukteurs und der Datumsangabe „Februar 1913" anfinden. Mit dieser Unterlage und dem gegenüber dem Kaufvertrag verbürgten Mehralter von weiteren zwölf Jahren vollzieht sich nun ein Prozeß, der neben snobistischen auch langjährige praktische Folgen haben kann; zum Beispiel, wenn man bei der winterlichen Überholung die Wegerung entfernt und dabei Stahlspant für Stahlspant an die notwendige Erneuerung dieser Verbände herangeführt wird. Wohl verborgen haben sie sich im Laufe der letzten sechzig Jahre bis zur Hälfte ihres Einbaugewichtes in Form von Rost dezimiert.

Im Spannungsfeld zwischen Stolz und Beklommenheit entsteht zunächst eine gewerbegerechte Lochplatte zum Biegen von Stahlspanten. Dabei leihen die metallkundigen Mitarbeiter dem Herrn vom Schreibtisch mit der Mumie hilfreich die Hand. Bleistift und Stahlspant liegen jedoch so weit auseinander, daß schließlich Holz in Schichten von fünf Millimetern Dicke, streifenweise mit Ochsenblut verleimt, vorgezogen wird. Zwölf Schichten, über einer Klotzbahn nach dem demontierten alten Testspant aufgeleimt, ergeben leichte und mit geringen Kräften bearbeitbare, lamellierte Rohlinge. Die Bodenwrangen werden aus drei 19 Millimeter dicken Sperrholzplatten miteinander verleimt. Um Maßabweichungen im Rumpf weitgehend zu vermeiden, wird stets nur ein bis unter das Deck reichender Stahlspant ausgebaut und durch einen hölzernen Spant ersetzt. Die jeweils folgende Wränge mit ihren Spant-armen bis zur Wasserlinie wird von demselben Modell gewonnen. Als Fertigungsstätte dieses neuen Innenlebens dient der heimische Keller, schon um die stark angewachsenen Wegezeiten nicht weiter eskalieren zu lassen. Eine Tischlerplatte von 24 Millimetern Dicke, in Abständen von l 5 Zentimetern mit durchgeschraubten Klötzen ausgerüstet, gibt dem Lamellenpaket aus Mahagoni Halt, Druck und Form. Das markante Odeur des Phenol-Resorcin-Formaldehyds (Aerodux) durchzieht in den nächsten vier Jahren 66 Mal das Haus. Den zweiunddreißig ausgebauten Spanten wird ein dreiundreißigster hinzugefügt, um daran das Oberwant der inzwischen installierten Hochtakelung sicher zu verankern.

Das Einpassen der Neuteile und ihre Nachbearbeitung in der Bootshalle decken sogleich erhebliche handwerkliche und ausrüstungsmäßige Mängel auf. Der erste preiswerte Werkzeugsatz gelangt noch preiswerter an Eigner mit geringerem Reparatur-Volumen. Sozusagen im ersten Lehrjahr für Restaurateure ist man - teils aufgeschlossen, teils ungehalten - die Sammelbüchse für gute Ratschläge, die einem reichlich zuteil werden.

In diesen Jahren wird der Terminus Restaurator neu definiert. Erkennt man nämlich den lateinischen aurum (=Gold) in diesem Wort, so könnte ein Restaurator sehr wohl derjenige sein, der sich am Rest eines Goldstückes zu schaffen macht. So etwa gruppieren auch die Besucher in der Bootshalle das Geschehen ein, wenn sie der schließlich ausgebauten Cockpitwanne und des geöffneten Achterdecks ansichtig werden. Will man die neuen Holzspanten wieder kraftvoll mit der Außenhaut verbinden, muß der rostgeschädigte Bereich um den ehemaligen Stahlniet herum in den Planken mit Epoxidharz und Holzmehl saniert (ausgebohrt, verfüllt und neu gebohrt) werden. Nebenher wird noch die Innenfläche der Außenhaut abgezogen und mit zwei Schlägen Bilgenfarbe einheitlich gestaltet.. Teile des Balkwegers und sechs Decksbalken an Steuerbord gliedern sich zwanglos in das Reparaturpro-gramm mit ein.

In diesen fünf Jahren führt man die Familie mit zufälliger Regelmäßigkeit an die Dauerbaustelle, um wenigstens zeitweise dem Verdacht einer fleischenen Nebenbuhlerin zu begegnen. Auch ein Spieltag des Sohnes in und auf dem Veteran will in losen Abständen zur Absicherung der eigenen Lauterkeit arrangiert sein. Während die Beschäftigung mit Yachten im partnerschaftlichen Bereich nicht selten zu maritimen Allergien führt, ergeben sich bei der Nachkommenschaft durchaus positive Entwicklungen. So können verborgene handwerkliche Talente geweckt und vorhandene gefördert werden, wie sich später herausstellt.

Ist das neue Spantsystem installiert, findet eine offizielle Begehung statt, die verständlicherweise die Hoffnung auf baldige Fertigstellung des gesamten Projektes heraufbeschwört, speziell beim inzwischen zehnjährigen Sohn. Da diese Vorfreude noch ein gutes Jahr genährt werden muß, beeinträchtigt man sie in keiner Weise durch Gegendarstellungen. Überhaupt finden Berichte von Rückschlägen oder Mißerfolgen in keiner der einzelnen Bauphasen die erhoffte Anteilnahme im Freundeskreis.

Während bis zu diesem Zeitpunkt die Wiederverwendung des seinerzeit Stück für Stück entfernten Interieurs eine ausgemachte Sache war, animiert ein kurzes Gespräch mit einem erfahrenen Tischler umgehend zum Kauf von Bootsbauhölzern samt Leisten verschiedener Querschnitte, einer leistungsfähigen Stichsäge und mehreren hundert Schrauben verschiedener Formate. So wird der im Laufe der Jahre verlorengegangene Schrank nach viel abendlicher Denkakrobatik genau dort plaziert, wo er in der Zeichnung von 1913 schon eingezeichnet war.

Es gab sogar deren zwei (an Backborg und Steuerbord) gleich hinter dem Mast. Dieser üppige Schrankraum wäre freilich nur mit der Rekonstruktion des Vorschiffs in ein Separee mit einem Vollschott zu realisieren. Da auf die „bezahlte Hand für die Ostseereisen" (Zitat aus Die Yacht, 1913, eben über dieses Schiff) verzichtet wird, wird auch nur ein Schrank rekonstruiert. Als echte Änderung bleibt schließlich ein kleines Brückendeck, das Elektrik und Feuerlöscher aufnimmt. Während ein Junggeselle die Yacht dem Urzustand wieder möglichst nahebringen würde, ergreift der Familienvater nun Maßnahmen, die den künftigen Wartungsaufwand senken. So werden der Rumpf, die ehemals leinwandbespannten Dächer und die Cockpitwanne farbig und die beiden Lukendeckel transparent mit Glasfaserkunststoff beschichtet. Einige Kisten Bier, Bockwurst und Kartoffelsalat neben der Nonfood-Abteilung mit einem Faß Polyesterharz und einigen Glasmatte-Rollen locken eine Crew von sieben Mitarbeitern an einem sonnigen Samstag in die Bootshalle. Um 14 Uhr sind die 40 Quadratmeter Außenhaut mit vier Mattelagen und Harz überzogen. Es kostet den Eigner vierzehn Tage, die GFK-Oberfläche mit Winkel- und Band-schleifer zu glätten.

Zur Wiederinbetriebnahme nach einer Trockenperiode von sechs Jahren lädt man auf gelblichem Büttenpapier mit altenglischer Schreibschrift. Dieser Schrift-typ eignet sich auch für den Namenszug auf dem Schiffsrumpf. Das Ereignis selbst halten einige Filme fest, deren Anzüge die Wiedergeburt eines Schiffes im stattlichen Alter von 66 Jahren für Freunde und Enkel dokumentieren. Die erste Saison ist in der Regel kurz, denn fast jeder Stapellauf findet später statt als geplant. Die letzten Wochen der Saison reichen, um hier und da einige Unzulänglichkeiten abzustellen und sich langsam als Eigner eines schwimmenden Schiffes zu fühlen.

An einem warmen Abend sitzt man dann im Cockpit und zieht Bilanz: Sechs Jahre Familienentzug, ein Dickkopf mit Zertifikat, Berge von Rost und Staub, Farbe und altem Holz, dazu eine randvolle Pütz Schweiß auf der Sollseite stehen einer klassischen Yacht mit vollkommenen Linien und begeisternden Segeleigenschaften, dazu merklich verbesserten handwerklichen Fähigkeiten und einem lückenlosen Werkzeugsatz auf der Habenseite gegenüber. Der Frage, ob sich das beschriebene Unterfangen „gelohnt" hat, wird man zumindest in den ersten Monaten nach der Fertigstellung geflissentlich aus dem Wege gehen, auch wenn sie nur zwischenmenschlich gemeint ist. Erst wenn im folgenden Jahr die Familie auf Anhieb Gruppensieger in der Vereinsregatta wird, löst sich in der frischgewonnenen Einheit mit der mittlerweile oldtimerstolzen Familie die Beklommenheit des Fanatikers. Dann gibt es sogar Tage, an denen das restaurierte Bauwerk distanziert-liebevoll als „hölzerne Braut" in die Hausgemeinschaft mit einbezogen wird. Und sei es in der Erkenntnis, daß Süchtige erst dann glücklich sind, wenn andere ihre Schwäche teilen. Und das gilt eben auch für die Eigner klassischer Yachten und ihr Laster mit Faszination.

 

Rasmussen-Riss 1913