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"Weserjolle" - eine Restaurierung zwischen Herz und Verstand

Text, Fotos: Karsten Alfke

Diese Weserjolle war 30 Jahre im Segelverein "Weser" e.V. in Bremen am Weserstadion beheimatet. Das Boot hatte dort im Laufe der Jahre drei verschiedenen Eigner. Im Herbst 1982 wurde nochmal weiterveräußert. Die Meldungen vom Boot wurden weniger. Man orientierte sich um. Im Mai 1999 anläßlich einer Werftarbeit an meinem Boot beim "Bootsservice Wirdemann" in Bremen-Habenhausen wurde mir eine Original-Weserjolle von Herrn Wirdemann vorgeführt. Ich erkannte die Mahagonie-Kielschwertjolle (fünf-einhalber) sofort wieder, denn jedes Boot hat besondere Merkmale, die im Laufe seines Daseins auch bei mehrfachem Besitzwechsel unverwechselbar bleiben. So war es hier die abgesenkte Waschbord im Bereich des Steuermanns. Ja, was für ein Anblick! Durch die Beplankung konnte man den Hallenboden sehen. Der Lack großflächig abgeplatzt. Das Mastschott und das Achterschott, aus Sperrholz gefertigt, mit losgelösten Furnierschichten. Fast alle Spanten gebrochen! Der Kiel teilweise vom Rumpf gelöst.

  

Ein trauriger Anblick. Kurzum eine Sache wo man lieber die Finger von läßt. Der letzte Eigner am Ratzeburger See hatte sich wegen fehlender Reparaturmöglichkeiten letztlich entschlossen, das Boot wieder an die Weser zurückzugeben. Dort war es bei der Bootswerft Joh. De Dood in Bremen-Hastedt 1951 gebaut worden. Gegenüber bei Bootsservice Wirdemann sollte versucht werden, doch noch wieder einen Käufer zu finden.

Der "Fall" wurde im Vorstand des Segelverein "Weser" trotz seiner Absurdität diskutiert. Sollte doch eine Lösung zur Rettung der Jolle möglich sein. Man könnte doch mit wenig Aufwand den Rumpf mit GFK beschichten, das Boot für den Hausgebrauch (also Vereinsbesitz) wieder auftakeln und dann diesem Oldtimer noch einen Aufschub seines Schicksals gönnen. Es wurden Gespräche mit einigen in Frage kommenden Bootsbaubetrieben aufgenommen, Gespräche mit dem Eigner geführt. Das Resultat:

Der Eigner überläßt das Boot gegen eine Spendenbescheinigung des LSB wieder dem Segelverein "Weser" (SVW). Der SVW wird Eigentümer und Betreiber. Das "Projekt" soll sich selbst tragen. Keine Belastung für die Vereinskasse. Ich wurde als Mitglied des SVW vom Vorstand als Verantwortlicher für dieses Projekt "auserkoren"!

Es wurden Anteilscheine für DM 100,- aufwärts ausgegeben mit dem Ziel, die erforderlichen Geldmittel für die Wiederherstellung zu beschaffen. Und so geschah es. Ein öffentlich bestellter Besichtiger (Kapt. Arndt) fertigte eine Expertise über den Restwert des Bootes mit allem dazugehörigen Inventar und bewertete die Jolle mit DM 2.000,-. Eine Schenkungurkunde wurde erstellt. Der SVW erhielt dafür kostenfrei ein historisches Wrack! Eine überraschende Anzahl Interessierter aus damaligen Vereinszeiten (Holz lebt!), aber auch aus anderen Vereinen und zwei ehemalige Eigner fanden sich schnell. Es war plötzlich jedoch notwendig, dem Wunsch der Anteilseigner zu entsprechen und der GFK-Lösung Adieu zu sagen. Geld nur, wenn wieder original Mahagonie durch den Lack leuchtet. Dieser Wunsch war verständlich. Aber hatten sich die Anteilseigner denn das Boot genau angesehen. Eine Reparatur in Holz? Unbezahlbar! Welche Werft sollte das machen? Welche Summe mußte letztlich zusammenkommen? Fragen über Fragen!

Anfragen bei verschieden Bootsbaubetrieben. Die Werbetrommel lief ununterbrochen. Die gespendete Summe übertraf unsere Erwartungen und damit stiegen auch die Erwartungen unserer "Aktionäre". Die Zeit verran! Ein Jahr war seit Entdeckung des Bootes vergangen. Aber wir hatten jetzt unseren Betrieb gefunden. Bootslager Joh. Lühmann & Sohn stellte das Bauareal in einer Bootshalle zur Verfügung. Die Firma Bootsservice Jens Wirdemann würde die Arbeiten in klassischer Form durchführen. Die zur Verfügung stehenden Geldmittel deckten sich mit den Forderungen.

Trotzdem war dieser Auftrag mit keinem Vorhergehenden vergleichbar. Natürlich mußte vorher kalkuliert werden. Die Kalkulation von Material ist kein Problem. Aber der Aufwand an aufzuwendenden Stunden? Hier lag der Knackpunkt. Wir hatten aber einen Partner bekommen der sich trotzdem an diesen siechen Patienten wagte. Dieses ist durch die lange Tradition der Fa. Joh. Lühmann & Sohn, langjähriger Inhaber Heinz Lühmann begründet. Diese Art von Weserjollen, wie sie zwischen den Weltkriegen zu Hunderten das Weserrevier bevölkerten, wurden seit jeher hier gelagert und wenn nötig repariert. Auch Neubauten entstanden noch bis in die 60er Jahre. Jens Wirdemann nun, als gewiefter junger Bootsbauer (A&R), sollte die Arbeiten durchführen. Bedingung: Alle losen Teile incl. der noch zu demontierenden Schränke sollten vereinsseitig wieder restauriert werden. Auch die Rundhölzer (Mast, Gaffel,Baum) gehörten dazu.

Die Arbeiten begannen. Die Jolle wurde vollständig entkernt und von Lackresten im Innenbereich befreit. Der Kiel wurde demontiert. Fast alle Spanten wurden mittels einer "Schwester" aus abgelagertem Eichenholz verstärkt. Jeweils 36 an Bb. Und 36 an Stb. Eine Arbeit nur für Leute mit guter Kondition, da im Vor- und Achterschiff bei einer 5,5 Meter Jolle alles nur im Liegen erfolgen kann. Also Schablone fertigen. Aus der Bohle schneiden. Anpassen. Alles im Einklang mit viel Gefühl und einer sinnreichen Gurt/Keile-Konstruktion mit Ratsche welche in Verbindung mit unzähligen neuen Verschraubungen langsam wieder einen strakenden Rumpf mit der ursprünglichen Festigkeit hervorbrachte. Dann wurden das Mast- und Achterschott aus 12 mm AW100 verleimten Sperrholz eingebaut.

   

Aus einer frisch angelieferten riesigen 5 cm starken Eichenbohle wurde die beiden Totholzhälften geschnitten wo sich dann das Schwert im hochgezogenen Zustand befindet bzw. mit Bolzen am Kielballast drehbar befestigt ist.

Parallel zu diesen Arbeiten, welche mit Unterbrechungen fünf Monate in Anspruch nahmen, wurden die Arbeiten an dem hölzernen Inventar durchgeführt. Alle Bodenbretter mußten ausgebessert, abgezogen, geschliffen und lackiert werden. Ebenso Ruderkoker, Pinne, Paddel, zwei Reitbalken die Schrankrahmen, die dazugehörigen Klappen und Schwalbennester.Dazu die diversen Wege zu den Ausrüstern. Hier ein Bolzen. Da die fehlenden Latten für´s Großsegel, etc. Der Mast war eine besondere Herausforderung, denn er war sehr demoliert und wurde dann doch von fachkundiger Hand auf´s beste wieder hergerichtet. Alles ging zügig voran, auch wenn die Temparaturen lange Zeit wenig über null waren und somit die erforderlichen Leimarbeiten in die Länge zogen. J. Wirdemann war mittlerweile bei den arg mitgenommenen Planken im Vorstevenbereich angekommen. Hier war auch die eigentliche Ursache für den schlechten Zustand der Jolle zu sehen. Hier leckte das Boot seit Jahren permanent. Einer der letzten Eigner hatte sich daher entschlossen, eine Membranpumpe einzubauen. Das war dann auch fast das Ende. Wurde nicht gepumpt, lief das Boot voll Wasser. Und so lag es dann vollgelaufen in einer Hafenecke.

Diese Arbeiten erforderten ein Höchstmaß an Wissen und Konzentration und wurden letztlich zur vollsten Zufriedenheit durchgeführt. Der Kiel (Totholz incl. Eisenballast) wurde wieder unter reichlicher Verwendung von altbewährtem Dachpappenteer mit neuen Gewindeschrauben verbolzt. Der Rumpf wurde von innen geschliffen und mit einer Spezialtinktur gestrichen. Der Rumpf wurde außen dann komplett abgezogen und völlig neu mit mehreren Anstrichen "Epifanes-Bootlak" der Fa. Lüning lackiert, bis ein hoher Glanzgrad erreicht war. Die Zierleiste bekam neuen Glanz. Der Schriftenmaler Herr Boschen erschien und stellte seinen ersten Entwurf vor. Er wurde genehmigt und wurde später dann mit großer Sorgfalt, kursiv und schwungvoll auf den diversen Lackschichten zweifarbig aufgetragen und versiegelt. Das Deck erhielt einen himmelblauen Anstrich. Dazu wurde dann gleichfarbig der Wasserpaß neu aufgebracht. Ein guter harmonischer Kontrast zu der roten Unterwasserfarbe. Es war April 2001 geworden. Einige nicht vorhandene oder reparierfähige tradionelle Bootsbeschläge waren bei der Fa. Dauelsberg/Deichausen in Arbeit. Auf ein 50 Jahre altes Boot passen kaum Beschläge aus den Katalogen des Jahres 2001. Ende April wurde das Boot erstmals nach langer Zeit wieder mit dem Element Wasser vertraut gemacht. Nachdem einige Plankennähte vorher mit Fensterkitt gedichtet wurden, konnte das Boot mit reichlich leeren Kaffeesäcken ausgelegt und mit einem Gartenschlauch behutsam gewässert werden. Eine Woche verging. Das Wasser blieb auf den Säcken stehen. Wir konnten dem langersehnten Stapellauf beruhigt entgegensehen.

Die noch fehlenden Beschläge wurden montiert. Dann ging am 1.Mai.2001 unsere Weserjolle glatt zu Wasser. Der Mast wurde gesetzt. Die Segel angeschlagen. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Die Werftmannschaft und alle sonstigen Beteiligten und Helfer waren froh. Das Glas Maibock schmeckte an diesem Vormittag besonders gut. Der ehemalige Konstrukteur Ferdinand Grünhagen würde kaum erkennen, daß hier ein über 50 Jahre altes Boot seinem zweiten Leben entgegen sieht. Der offizielle Stapellauf erfolgt am 5. Mai 2001 auf dem Gelände des Segelverein "Weser" e.V., wo zukünftig diese Mahagoniejolle als ein Stück bremischer Seglertradion seinen Heimathafen hat und jeden Dienstag von dort aus am Osterdeich zwischen den Weserbrücken gesegelt wird.
An dieser Stelle soll nochmal ausdrücklich allen Förderern, welche dieses Projekt ideell oder finanziell unterstützten, sowie der Fa. Lühmann und der Fa. Bootsservice Wirdemann für ihre mit viel Elan und Sachkenntnis durchgeführte traditionelle Holzarbeit gedankt werden.