11 yachten Segelyacht klassich 1

"Westwind / Ostwind" - 12 mR

Text: Holger Ohlsen, Foto "Westwind": Kai Greiser

 

„Ostwind immer einen Tick schneller“

Wenn die Hecksee das Deck umspült, ist es soweit. Dann weiß Korvettenkapitän Wolf-Friedrich Pyrus, dass die „Ostwind“ mit Höchstgeschwindigkeit durchs Wasser zieht. Zwölf Knoten zeigt die Logge dann an. Kurzfristig, wenn eine kräftige Welle mitschiebt, sind auch mal 15 Knoten drin. Das sind Geschwindigkeiten, über die manch ein Skipper neuzeitlicher Kurzkieler aus den Konfektionswerften der Sportschifffahrt lächeln mag, aber Geschwindigkeit auf einem Zwölfer hat eine andere Qualität, sagt Pyrus. Wenn gut 200 qm Segelfläche die Windkraft in Vortrieb umsetzen, springt der 30 Tonnen schwere Langkieler an wie eine Jolle. „Da steckt eine ganz andere Power dahinter. Der fängt an zu beschleunigen, dass man denkt, der hört nie wieder auf.“

Optimales Zwölferwetter sind vier Windstärken und glattes Wasser. „Dann bewegt sich der gewaltige Lateralplan sogar am Wind leicht mit zehn Knoteen durchs Wasser“, sagt Pyrus. „Das hört natürlich ziemlich schnell auf, sobald Welle da ist. Irgendwann fängt er dann an zu stampfen.“

Stampfen war beim Bau nicht vorgesehen. Die „Zwölfer“ sollten bei gutem Wetter dem Regattavergnügen besser gestellter Kreise dienen. Die „Westwind“ wurde 1938 bei Abeking & Rasmussen als „Inga“ auf Rechnung des Hamburger Reeders Thomas Essberger gebaut. Ein Geschenk an seine Tochter, die angeblich überhaupt keinen Zugang zur Segelei hatte und froh war, das Schiff nach dem Tod des alten Herrn verkaufen zu können.

Der A&R-Bau „Ostwind“ erschien unter dem Stander des Norddeutschen Regattavereins ein Jahr später als „Sphinx“ auf der Regattapiste. und machte gleich Furore. „Sie segelte ihren Konkurrenten nur so um die Ohren“, sagt Pyrus. Das winzige Plus von nurf 30 cm in der Wasserlinie bescherte der „Neuen“ einen Vorsprung, den „Anita“ und „Westwind“ bis heute nicht einholen konnten. „Die Ostwind“, sagt Pyrus, „ist einfach immer einen Tick schneller.“

Sphinx 1939

Vier Zwölfer entstanden in der Zeit kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Drei überlebten. „Westwind“ mit dem Segelzeichen G 1, die jetzt yawlgetakelt fahrende „Anita“ mit der Nummer G 2 und die „Ostwind“ mit G 4 im Segel. G 3 trug die bei Burmester gebaute und inzwischen verbrannte „Ashanti“.

...In den 50er Jahren begann für „Ostwind“ und „Westwind“ der harte Dienst fürs Vaterland. Der damals für die Beschaffung zuständige Konteradmiral Rogge nutzte seine guten Verbindungen zur Familie Essberger und machte ein Schnäppchen. Für angeblich 25.000 Mark erwarb er von der Essberger-Tochter den verschwenderisch ausgestatteten Daysailer „Inga“, die als Dienstsegelboot „Westwind“ gemustert wurde. Die „Lobito“ (ex „Sphinx“) folgte ein halbes Jahr später nach - immerhin für das Doppelte.

Der harte Dienst bei der Marine hat über die Jahre Spuren hinterlassen. Reiche Liebhaber zeigen ihre Zwölfer in den mondänen Badeorten des Mittelmeeres und schonen sie ansonsten wie andere Oldtimerfans ihren alten Bugatti. „Deren Unterwasserschiff ist glatt wie ein Nonnenbauch. Unsere zwei sind eher reliefartig gestaltet,“grinst Pyrus. Tribut an weit über 80000 Meilen, die „Ostwind“ und „Westwind“ für die Bundesrepublik Deutschland schon zurück gelegt haben. Im Kern aber, im Kern, betont der Kapitän, sind beide Schiffe kerngesund. Verdienst der Bootsmeister Arno Petersen und Herbert Evers, die beide Yachten hüten wie die Augäpfel.

Anders als bei anderen 12m-R-Yachten gibt es trotz der verschwenderischen Verwendung von Mahagoni, Teak und Messing wenig Luxus an Bord. Unter Deck herrscht spartanische Kargheit, an Deck wird die Arbeit an maximal 310 Quadratmetern Segeln weitestgehend über die nur mäßig untersetzten Blöcke und Taljen der Grundausstattung von 1938 erledigt. Immerhin: Nach 50 Jahren, freut sich Pyrus, gab es erstmals ein anständiges Patent-Bindereff. Früher mussten 135 Quadratmeter wild schlagendes Tuch mühsam von Hand eingebunden werden, wenn der Wind auffrischte.

Fiete Pyrus zählt zur handverlesenen Schar der Skipper, die an die Pinne eines der beiden Zwölfer dürfen. In der Bundesmarine gibt es knapp zwei Dutzend Skipper mit Marine C-Befähigungsschein und einer schriftlichen Genehmigung des Kommandeurs, die dafür in Frage kommen. Pyrus: „Es gibt noch viele andere, die es könnten, sich aber den Stress nicht antun möchten.“
Die Besonderheiten der Oldtimer sorgen regelmäßig für Adrenalinschübe an Bord. Weil ein Motor nicht vorgesehen ist, wollen Hafenmanöver mit den 21-Meter-Riesen sorgfältig geplant sein. Wenn ein Zwölfer erst einmal seine Fahrt verloren hat, kann allein die große Fläche des Riggs dafür sorgen, dass 30 Tonnen unkontrollierbar auf die Drift gehen. Andererseits ist forsches Vorgehen auch nicht unbedingt angeraten. „Neben der Länge ist das Gewicht ein Riesenproblem“,sagt der Skipper. „Die letzten sechs Knoten Speed nimmt man nicht mit der Springleine raus.“ Auch in der Vorwärtsbewegung haben „Ostwind“ und „Westwind“ so ihre Eigenheiten. Im chaotisch anmutenden Getümmel vor dem Regattastart sind die majestätischen Langkieler den wendigen Kurzkielern hilflos ausgeliefert. „Leider nehmen viele ehrgeizige Skipper darauf keine Rücksicht“ , sagt Pyrus. „Da wird einem schon manchmal ganz anders.“

Kurioser Weise sind ausgerechnet die beiden kostbaren Rassepferde der Marine am seltensten in Rammings und sonstige
Berührungen verwickelt. „Wahrscheinlich liegt es daran, dass man die Manöver besonders gut vorausplanen muss“, vermutet Pyrus. Das ist auch gut so, denn die beiden Unikate sind unersetzlich. Als Neubauten wären sie für einen Großteil der besser gestellten Kreise und erst Recht für den Bundesverteidigungsminister unerschwinglich. Die erste Regel für Zwölfer-Fahrer ist daher: „Man soll Respekt vor ihnen haben und den Respekt möglichst nicht verlieren.“

12 mR von Burmester oben, unten 12mR von Rasmussen