Formeln
Ideal ist es, wenn das erste Boot, das bei einer Regatta über die Ziellinie geht, auch gewonnen hat. Voraussetzung dafür ist völlige Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit der Boote. Gleich sind die Boote der „Einheitsklassen", bei denen jedes Maß und viele Einzelheiten der Ausstattung festgelegt sind. Als gleichwertig sind Boote einer „Konstruktions-Klasse" anzusehen. Hier sind einzelne Maße und Maßverhältnisse einzuhalten, innerhalb derer der Konstrukteur freie Hand hat, auch werden häufig andere Dinge, z. B. der Höchstpreis, für das Boot festgelegt. Die Sonderklasse war z. B. eine Konstruktionsklasse.
Sollen verschiedenartige Boote um die Wette segeln, braucht man Vorgaben, die einigermaßen gerecht nur durch Formeln zu errechnen sind, in welche die Werte eingebracht werden, die für die Leistung des Bootes wichtig sind: die Länge, die .Breite, Segelfläche und anderes mehr. Von Anbeginn haben die Segler mit diesem Problem leben müssen, denn immer, zumal in den Anfangszeiten, waren die Boote verschieden. Es lag nahe, dass man sich zunächst der Verfahren bediente, die seit Jahrhunderten für die Bestimmung von Schiffsgrößen benutzt wurden. Da aber diese Verfahren zur Festlegung des Rauminhalts von Handelsschiffen dienten und daher die Kriterien der potentiellen Geschwindigkeit nicht erfassten, waren sie für Segelyachten schlecht brauchbar. Doch hat sich, namentlich in England, die Größenbestimmung einer Yacht, ausgedrückt in Tonnen, das „Thames-Measurement", die „Themse-Tonne", lange gehalten, und man hört den Ausdruck heute noch gelegentlich. - Die Vergütung wurde nach Tonnen und gesegelter Zeit berechnet, und das Boot mit der geringsten „berechneten Zeit" wurde Sieger, wie heute auch.
Aber die Berechnung nach der Tonnage konnte nicht befriedigen, und so wurde, beginnend um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, an verschiedenen Stellen und bei einer Reihe von Clubs nach besseren Verfahren gesucht. Doch stets hatten die Formeln Lücken, ob sie nun die Länge, die Breite, die Segelfläche oder andere Werte bestimmten, und in diesen Lücken tummelten sich die „rule-cheater", die Formelkünstler, mit manchmal schlimmen Folgen für die Sicherheit und Seetüchtigkeit der Boote. Bedeutende Schiffbautheoretiker wie Froude, Konstrukteure wie Herreshoff, Yachtschriftsteller wie Dixon Kemp, um nur einige zu nennen, waren auf der Suche nach „der" Formel, der „Universal Rule". Ein Vertreter der Kempschen Formel ist der „Englische Kutter von 1890". Aus den Erörterungen und Debatten darüber, die wir hier nicht weiter verfolgen können, schält sich heraus, wie man hier und wie man dort über das Yachtsegeln dachte, welchem Leitbild man folgte; die Engländer dem „deep and narrow", die Amerikaner dem „broad and shallow", um die wichtigsten Beispiele zu nennen. — Nur von einer kuriosen Formel sei berichtet, der amerikanischen „Gips-Formel", einer sehr „handgreiflichen" Angelegenheit. Das Rezept: Man gebe dem Konstrukteur eine bestimmte Menge Gips, um daraus einen Rumpf zu formen. Ist für zwei Rümpfe die gleiche Menge Gipses verbraucht worden, so sind sie gleichwertig, denn die Volumen sind gleich.
Germania III, 8 mR 1937 (Aus: Sciarelli, Die Yacht)
1896 setzte die englische „Yacht Racing Association" die von Froude entwickelte „Linear Rating" in Kraft; sie enthielt die Länge der Wasserlinie, die Breite und die Wurzel aus der Segelfläche zusammen mit einem Umfangsmaß, das die extremen Flossenkieler „bestrafte". Diese Formel wird in ihren Bestandteilen 10 Jahre später zur „International Rule", ihr Ergebnis ist die in Meter ausgedrückte Rating „R". Sie ist nach einigen Änderungen, die letzte 1934, immer noch in Kraft: R = L + 2d+ls—F Sie steht hier, weil nach ihr besonders schöne und harmonische Rennyachten gebaut wurden, die über Jahrzehnte das Regattasegeln der Kielboote beherrschten. Sie war dazu noch beispielgebend für andere bedeutende Klassen, die Schärenkreuzer, die Seekreuzer und die Drachen. Von 1900 bis 1968, bei 15 olympischen Segelwettbewerben, waren die „Meterboote" dabei. Die bekanntesten Klassen waren die 12-m-, die 8-m- (Achter) und die 6-m-R-Boote (Sechser); ihre letzten olympischen Vertreter waren die nach einer verwandten Formel gebauten 5,5-m-R-Boote. - Die „Zwölfer" segelten von 1958 bis 1987 um den America's Cup, und ganz moderne „Sechser“ und „Achter“ werden durchaus noch gebaut und gesegelt, bei uns vornehmlich auf den süddeutschen Seen.
Einheits- und Konstruktionsklassen sind naturgemäß eher bei reinen Regattabooten und bei kleineren Einheiten durchzusetzen; bei den Seekreuzern und bei den „Großen", die zwar auch Regatten, aber doch hauptsächlich Fahrten segeln wollen, ist das schwieriger. Es hat daher bei ihnen auch viel länger gedauert, bis es zu einer allgemeinen Formel kam. Erst um 1930 entstanden mit dem Beginn großer und stark besetzter Seeregatten in England und Amerika Formeln mit größerem Geltungsbereich für Seekreuzer: die des Royal Ocean Pacing Club, die „RORC-Formel", in England und die des Cruising Club of America, die „CCA-Formel", in den USA. Daneben gab es in Deutschland die Kreuzer-Rennformel („KR-Formel") und eine weitere in Skandinavien, beide ohne größere internationale Geltung. Alle diese Formeln hatten nicht nur ein gerechtes Ausgleichssystem zum Ziel, sie sollten auch den Bau von vernünftigen und seetüchtigen Booten begünstigen. Jede dieser Formeln hat ausgezeichnete und schöne Boote hervorgebracht, und es lässt sich auch sagen, dass ein wirklich gutes Boot in jeder von ihnen gut war. Doch war die Verschiedenheit der Formeln bei den mit der Zeit häufiger werdenden internationalen Regatten störend. Trotzdem dauerte es Jahre, bis man sich 1970 auf die International Offshore Ruie, die „lOR-Formel", einigte, die in den wenigen Jahren ihres Bestehens ein paarmal geändert worden ist. Die ab 1973 geltende lOR-Mk-lll-Formel schreibt sich:
Lx T/S
R = (0,13
0,25 L + 0,25 VS + DC + FC xEPFxCGFxMAF
\' B x D
DC ist eine Korrektur für den Tiefgang, FC für den Freibord, EPF ist die Motor- und Propellerkorrektur, CGF ein Faktor für den Gewichtsschwerpunkt und MAF ein solcher für bewegliche Anhänge. Hinzu kommen eingehende Bestimmungen, wie und an welchen Stellen die einzelnen Größen zu messen sind; man sieht daraus, ein wie kompliziertes Wesen eine Segelyacht ist, will man sie erfassen und analysieren. Wie gut, dass es Computer gibt.
Nach anfänglichem großem Aufschwung durch die IOR-Formel macht sich jedoch Ende der 70er Jahre im Hochseesegelsport eine zunehmende Müdigkeit bemerkbar, begründet durch mehrere tiefgreifende Formeländerungen. Alle Bemühungen des Offshore Racing Council's, die IOR nicht den Weg aller anderen bisherigen Formeln gehen zu lassen, schlagen fehl.
Aber - noch einmal sei es gesagt, ohne diese fürchterlichen Formeln gäbe es keine großen Seeregatten, gäbe es keinen Admiral's Cup. Sciarelli („Die Yacht") tröstet uns:
„Zeiten überzüchteter Boote sind Zeiten einfältiger Vermessungsformeln."
Einfache Ausgleichsysteme , insbesondere Yardstick, das Ende der 50er Jahre in England entstand, ziehen immer mehr Segler an. Das ORC trägt dieser Entwicklung Rechnung und übernimmt 1986 ein bereits seit etwa 10 Jahren in den USA angewandtes Ausgleichsverfahren mit dem Namen IMS. So soll es möglich werden, die Typenformung aller bisher angewandten Regeln zu umgehen und aufgrund des Messverfahrens eine möglichst große Chancengleichheit unterschiedlicher Bootskonstruktionen herbeizuführen.