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"Berliner Bär" - Kreuzeryacht

Text: Marius Schlösser, Fotos: Eigner

Großer Bahnhof auf dem Gelände des Segelclubs: Stapellauf SY „Berliner Bär“ am 29. Mai 1965 in Woltersdorf

Wie alles begann

Eine Handvoll begeisterter Wassersportler um Harald Dorau und seine Frau Christa gründeten im Berliner Umland in Woltersdorf am Flakensee 1955 einen Segelverein. Viele lächelten damals darüber, daß in das Vereinsarbeitsprogramm ausgerechnet der Bau einer eigenen Werkstatt aufgenommen wurde. Aber es stellte sich schnell heraus, daß diese Werkstatt die Grundlage für die weitere Arbeit werden sollte. Bis heute ist das so geblieben.

Rasch wuchs die Mitgliederzahl. Auch die Anfangszeit der Eigenproduktion von „Cadets“ war bald vorbei. Der Bootsschuppen begann sich zu füllen. Doch nun wurden den Seglern die Gewässer um Berlin zu eng.

 

In Ausbildung bei Freunden

Freundschaftliche Beziehungen zu einem Berliner Club, der glücklicher Besitzer einiger betagter Yachten war, ermöglichten es den Woltersdorfern, an Fahrten auf dem Meer teilzunehmen. So entstand im Laufe der Jahre eine Mannschaft von Seeseglern, die ihr Können auf Nord- und Ostsee unter Beweis stellte. Trotzdem rissen die Diskussionen um eine eigene Yacht nie ab, bis dann 1962 die Idee geboren wurde: „Dann bauen wir sie uns eben selbst“. Allerdings soll sich der kühne Entschluß weit romantischer angebahnt haben. Der Mythos besagt, daß in einer feucht-fröhlichen Runde der Frage nachgegangen wurde, ob die Erde – wie im Schulunterricht immer behauptet – wirklich rund sei. Erst mit einem eigenen Schiff könne man den abschließenden Beweis antreten. Weil aber große Geschichten – und der „Berliner Bär“ ist eine solche – immer Gefahr laufen, nachträglich ein wenig vom Seemannsgarn vereinnahmt zu werden, muß dahingestellt bleiben, ob derlei hochtrabende Gretchenfragen menschlicher Erkenntnis am Woltersdorfer runden Tisch der christlichen Seefahrt wirklich mit von der Partie waren. Jedenfalls konnten „die Schuldigen“ später nie namentlich komplett festgestellt werden. Allerdings deutet einiges darauf hin, daß es sich doch so zugetragen haben könnte. Denn – daran lassen die Überlieferungen keinen Zweifel – Havanna wurde einhellig als Wunschziel der ersten großen Fahrt gehandelt, noch bevor der Riß der Yacht zu Papier gebracht wurde. Kuba wiederum ist nur einen Steinwurf von Westindien entfernt – läßt also Christoph Kolumbus doch grüßen?

 

Eine vage Idee bricht sich Bahn

Allein der Gedanke an einen Eigenbau einer hochseetüchtigen Segelyacht rief viele Skeptiker auf den Plan. Nicht wenige erklärten die Burschen kurzerhand für wahnsinnig. Von Spinnern war die Rede. Wo sollte man das Schiff bauen? Woher das viele Geld nehmen, das notwendig sein würde? Wieviele Jahre werde ein solcher Bau beanspruchen? Sportliche und staatliche Stellen untersagten zeitweise, die Planungen fortzusetzen.

Die Sehnsucht nach dem endlosen Meer war stärker, die Enthusiasten gaben nicht auf. Schließlich gründete sich 1963 die Interessengemeinschaft „Hochseekreuzer Patriot“, wie der „Berliner Bär“ in der Projektphase genannt wurde. Doch ein Selbstlauf war es nicht, es gab zu Beginn Gegner und Neider, im eigenen Verein wie im Umfeld. Die Geschichte würde hier enden, hätten die Skeptiker gewonnen.

 

Vom Plan zur Tat

Doch einer der besten Sportbootkonstrukteure der DDR, Werner Siegel von der Yachtwerft Köpenick, nahm die Sache in die Hand, das „Traumschiff“ nach damals neuestem Stand der Technik zu entwerfen.

35 Sportler legten je 500 Mark in eine gemeinsame Kasse, das erste Startkapital war beisammen. Die Yacht sollte auf dem schmalen Uferstreifen des Klubgeländes auf Kiel gelegt werden. Die Anfahrt zur Ostsee hatte über die Oder zu erfolgen. Somit waren einige Eckwerte für die Konstruktion vorgegeben.

Der Entwurf entstand im Auftrag und in Abstimmung mit der Interessengemeinschaft „Hochseekreuzer Patriot“.

 

Einige Merkmale der SY „Berliner Bär“

Es sollte eine Hochseeyacht mit Heimathafen Woltersdorf für sechs bis acht Segler entstehen, zugelassen für alle Meere. In gemeinsamer Arbeit erhielt der Entwurf die im Generalplan WS 06-0200(2) niedergelegte Form.

Die Entscheidung fiel auf einen Kielschwerter, weil Schiffe dieser Bauart in der Lage sind, auch bei relativ niedrigem Wasserstand die Oder noch zu passieren. Als Takelungsart wurde die Yawl gewählt, wegen der guten Leichtwetter- und Raumwindeigenschaften durch die reichlich bemessene Segelfläche. Das mit den guten Leichtwettereigenschaften erwies sich nachträglich allerdings doch eher als gutgemeinter Vorsatz, denn die langen Stunden bei Leichtwetter kommen einem schon gelegentlich vor, als sei man in den „Roßbreiten“.

Die Takelage spleißte der bekannte Takler Julius Guldbrandt aus Stralsund. Für den Rumpf und die Aufbauten wurde die Stahlbauweise aus bestem Schiffbaustahl gewählt, alles nach Vorschriften des Germanischen Lloyd von 1951.

Die Nachteile des Kielschwerters – seine mit 13 t reichlich bemessene Verdrängung – mußten dabei in Kauf genommen werden. Ebenso die Körpergröße von Walter Moritz, der als fast Zweimetermann, Bootshausverwalter und gelernter Bootsbauer die Bauleitung übernahm, mit seiner handwerklichen Meisterschaft maßgeblich zum Gelingen des Vorhabens beitrug und der entsprechende Vorgaben zur lichten Höhe von Plicht und Kajüten machte.

Harald Dorau war der unermüdliche Organisator, der mit unnachahmlicher Hartnäckigkeit das Material beschaffte und sich beispielhaft für den Fortgang des Projekts einsetzte. Über 40 Betriebe und Institutionen unterstützten das ambitionierte Bauvorhaben.

Mit der Ruhe am Flakensee war es für zwei Jahre vorbei. Jedes Wochenende, sonntags, feiertags, im Urlaub – und im Winter unter der Plane – wurde bis in die Nacht geschuftet. Die Frauen bereiteten Gemeinschaftsessen. Eine allgemeine Begeisterung hatte die Segler erfaßt.

 

Die Spanten geben dem Schiffsrumpf Form und Stabilität, große Ballastgewichte im Kiel des „Berliner Bär“ verhindern das Kentern bei schwerer See / Bei Schweißarbeiten an der SY „Berliner Bär“

Schweißbrenner zischten, Kompressoren heulten, und das monotone Dröhnen wuchtiger Hammerschläge drang in jede idyllische Bucht, so daß auch Anzeigen wegen Ruhestörung nicht ausblieben. Einmal brach sogar das Stromnetz durch Überlastung zusammen. Einige Anlieger und Erholungssuchende auf Wochenendgrundstücken rebellierten, doch als sie sich überzeugten, was im Entstehen war, schlug häufig Frust in Begeisterung um. Viele wurden zu Verfechtern des Vorhabens und boten ihre Hilfe an.

Ziel war es, den Stapellauf zum 10jährigen Bestehen der Sektion Segeln vorzunehmen. So gesehen, ist es kein Zufall, daß 50 Jahre Segelclub und 40 Jahre SY „Berliner Bär“ in diesem Frühjahr zusammenfallen. Der seinerzeit entstandene Termindruck, wird berichtet, sei oft über die Kräfte gegangen, aber schließlich wurde der Termin doch geschafft. Und obendrein bei bester Qualität. Man kann sogar sagen: auf Weltniveau. Die Yacht, für die die DSRK (Deutsche Schiffs-, Revisions- und Klassifikationsgesellschaft) das Zertifikat „zugelassen für alle Meere und Ozeane“ ausstellte, entstand in etwa 15.000 Arbeitsstunden. Es ist unseres Wissens die größte, nicht auf einer Werft und nur durch „Laien“ gebaute Yacht der DDR, mit einer Länge von 13,40 m, Breite 3,40 m und einem maximalen Tiefgang von 2,40 m. Der Großmast hat eine Höhe von 16,40 m,der Besan von 9 m über Deck, die vermessene Segelfläche beträgt rund 120 m2, die Verdrängung ca. 13 t. Am 29. Mai 1965 wurde der Hochseekreuzer auf den Namen „Berliner Bär“ getauft.

Nach einigen Test- und Trimmfahrten auf der Ostsee erfolgte am 19. September 1965 der Start zur ersten großen Reise ins Mittelmeer. Der „Blaue Peter“ wurde in Stralsund eingeholt. Die Kreuzfahrt begann im Mittelmeer und seither segelt der „Berliner Bär“ auf den Weiten der endlosen Meere mit Heimathafen Woltersdorf. Die Sehnsucht war geweckt, und es wurde Einmaliges geschaffen.

Nach der Heimkehr von der Expeditionsfahrt im Mittelmeer war den Abenteurern große Aufmerksamkeit der Medien gewiß – hier die Route der SY „Berliner Bär“, Ausschnitt einer Veröffentlichung in „Neue Zeit“ vom 29. Juni 1966

Erlaubnis für einen Tagesaufenthalt in Gibraltar

 

Die Zeiten ändern sich

Es war gewiß nicht leicht, die Yacht bei allgegenwärtiger Materialknappheit in den Anfangsjahren der DDR zu bauen, auf Kurs zu bringen und über die Jahre der DDR im Fahrwasser zu halten. Nicht weniger schwer war es aber, den „Berliner Bär“ durch die Wirren und Untiefen der Wendezeit zu steuern, als vereinseigenes Schiff zu halten, zu pflegen und zu warten. Es galt, die Einsatzfähigkeit der Yacht zu sichern, alte Mitstreiter weiter zu motivieren, neue zu gewinnen und die mit der Zeit nicht weniger werdenden Überholungsarbeiten zu meistern. Wir haben dabei auch aus alten Tugenden der Interessengemeinschaft „Hochseekreuzer Patriot“ gelernt, mit den Pessimisten besser umzugehen. Deren Argumente sind heute freilich andere als damals: Es mache keinen Sinn mehr, koste nur Geld und lange fahre der „Bär“ ohnehin nicht mehr, führen sie ins Feld.

 

Über den Wunsch nach Zukunft

Vieles ist endlich, aber manches läßt sich heutzutage länger nutzen als man glaubt, nicht nur das Leben selbst, auch das des „Berliner Bär“ mit Heimathafen Woltersdorf. Eine große Herausforderung ist es dabei, den Verlust von langjährigen Seeseglern aufzufangen und die mit dem „Berliner Bär“ gealterte Crew der Enthusiasten zu verjüngen, zu ergänzen um Sportfreunde, die nicht nur eben gern mal als Schönwetter-Segler an einem Törn teilnehmen möchten, sondern die auch etwas von ihrem Handwerk verstehen. Gebraucht werden Seesegler mit Sehnsucht nach dem Meer. Seesegler, die dafür auch bereit sind, zu arbeiten und nicht nur davon träumen.

Die Vergangenheit des „Berliner Bär“ war ein Traum, die Zukunft ist ein Wunsch, der erst noch verwirklicht werden muß. Gebraucht wird eine Crew, die die Seemannschaft beherrscht, die ein Schiff achtet und pflegt, ein Team, das jedes Jahr über 1.000 Stunden in die Erhaltung der Yacht investiert, um die Ausrüstung zu ergänzen und zu erneuern, schadhafte Stellen am Stahlkörper ausbessert. Es gibt immer wieder technische Verbesserungen und Erleichterungen durch Neubau oder Weiterentwicklung der Ausrüstung. Die Möglichkeiten für die Bären-Segler sind über die Jahre immer besser geworden, sie sollten noch stärker genutzt werden.

Ein Dank gilt allen, die die Yacht alljährlich mit viel Liebe, Begeisterung und Aufopferung ehrenamtlich auf Kurs halten. Auch den privaten Sponsoren, Mitseglern und Nutzern auf den vielen Törns, den Familienangehörigen, die oft genervt über die Arbeitswut der Seesegler sind.

Möge man auf dem „Berliner Bär“ – deren erfahrene, vorausschauende Skipper hoffentlich nie das Fehlen einer Handbreit Wasser unterm Langkiel zu beklagen haben werden – noch oft „Leinen Los“ nach dem Einholen des „Blauen Peter“ hören.

Man mag heute zu den politischen Zielen der DDR und deren Repräsentanten stehen, wie man will. Bei allen Widerständen, die es bei Projektbeginn gegeben haben mag – hätten Cheforganisator Harald Dorau (ganz links im Bild) und Bauleiter Walter Moritz (ganz rechts) nicht auch verstanden, die Obrigkeit mit ihrem Vorhaben zu begeistern, wie hier bei einer „Probefahrt“ mit Volkskammerpräsident Prof. Dr. Dieckmann am 12. Juli 1965 auf dem Müggelsee, wäre die Große Fahrt ins Mittelmeer wohl ein ewiger Traum geblieben.

Mit einem Bordbucheintrag wünscht Prof. Dieckmann der Yacht bei der ersten (Mittelmeer-) Fahrt „allzeit guten Wind“. Es schmälert nicht den Einsatz der Beteiligten. Aber es ginge an der historischen Wahrheit vorbei, eine Mittelmeerkreuzfahrt einer DDR-Crew mit selbstgebautem Segelschiff vier Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer nicht auch als politisch motiviertes Ereignis einzuordnen.