"Vera Mary" - Kreuzeryacht
Text: J. Heitmann, Fotos: Archiv-Heitmann
Hinweise, wie man ein Schiff nicht kaufen sollte
"....... Da bist Du ja endlich, nun tu was ! ...."
...warum bekommen Frauen so rasch diesen leicht gereizten Unterton, wenn sie ein wenig warten müssen; zudem wussten wir ja gar nicht, dass eine bereits etwas betagte (immerhin 68 Jahre alte) englische Lady ausgerechnet in Rostock der beiden Wessis harrte, die da verspätet kamen.
Dazu noch eine winterliche Werft, feucht-kalter Schneegraupel, ein rostiger Slip mit einem Schiff, das deutlich durch etliche Jahre mangelnder Pflege und eine spätherbstliche Überführung von den Kanaren gezeichnet war. Dann die rasche ins Auge fallende Erkenntnis, dass der vielzitierte Terredo-Wurm tatsächlich existiert, und seiner innersten Natur folgend, Plankengang und das Totholz ungepflegter Schiffe nicht nur schätzt, sondern sogar gründlichst verzehrt. Im vorliegenden Fall hat ihn offenbar erst der Respekt und die Scheu der Kreatur vor dem jahrhundertealten Burmateak zur Besinnung gebracht, aber einige jüngere Plankengänge aus Iroko und insbesondere das Ruderblatt hatten sich beim Abkärchern endgültig verabschiedet. Die Fraßgrenze zwischen der originalen 2 `` Teakbeplankung und den späteren Ergänzungen aus anderen Hölzern waren präzise definiert.
Wir flachsten, etwas verunsichert, mit dem jungen, engagierten Überführungsskipper, der sich den offenkundigen Jammer auch etwas betreten – nachdenklich ansah (.. "wenn das auf dem Atlantik passiert"), und mit dem Eigentümer, seines Zeichens Kiesgrubenbesitzer und Jäger aus dem Süden (Ost-)Deutschlands, der sich das Schiff aus einer etwas kryptischen Insolvenz des (west-)deutschen Voreigners gesichert hatte und außer einem gesunden, aus seiner Situation heraus auch berechtigten Misstrauen gegen Wessis keinerlei weitere Fachkenntnisse vom Segeln besaß. Er wies uns in seinem bezaubernd – fremdländischen Dialekt immer wieder gutwillig-ratlos auf die vielenvielen Planken hin, die nicht angefressen waren.
Aber eigentlich war ja alles klar, das Schiff zu groß, 22,00 L.o.a. und 36 tons, ein Gaffelrigg wollten wir ja sowieso auf keinen Fall, ein Schoner hat zu viele Segel, und der Zustand, und der Dreck, und die Würmer. Und dazu die Kälte und die lange Rückfahrt, nein, diese Tour war wieder mal umsonst gewesen. Wir deuteten es dem - übrigens äußerst sympathischen – Jägersmann an: die "Määäääääärie", so die sächsichsische Lautumschrift ....... nein, das sei wohl doch nicht unser Schiff.
Da hatten wir bereits gekauft, wussten es nur noch nicht.
Rostock 2002
Ladies cabin
Salon
Eine lange Rückfackfahrt im wohlgeheizten Auto, eine Nacht darüber geschlafen oder gewacht,
J. M. Soper`s wunderschöne Originalzeichnungen hatte ich mir dann doch noch mitgenommen und studiert, am nächsten Morgen mit dem Partner telefoniert.
J.M.Soper: General arrangements - Zeichnungen von 1931
14 Tage später ter das zweite mal in Rostock; die Yacht inzwischen mit stehendem Rigg (!) in der Werfthalle, das neue Ruder ist montiert und drei Plankengänge sauber erneuert. Uwe Baykowski kroch mit durchs Schiff, sein wohlwollendes Grunzen aus den Tiefen der Bilge signalisierte Gutes. Es war warm und trocken und es gab Kaffee, wir setzten in der Halle schon mal die Segel und lernten das Gaffelrigg kennen.
... Scantling Section für Lloyds - Soper 1931
Berthon`s Werft hatte 1931/32 vorzüglicgliche Arbeit gemacht, only the best, 2 Zoll Planken aus Burmateak, sehr maskuline Spanten aus englischer Eiche, nirgends Rott, das Rigg (von Spencer) und Segel (McKillop) wie neu; einfach Qualität durch und durch. Sogar das Interieuer und Lay-out weitgehend erhalten. Ein Schatz, und das in Rostock. Ein paar alte Beken of Cowes - Fotos, jetzt wussten wir auch, woher wir das feinnervige Hinterteil kannten, (Peter Königs Deckblatt, und dann war da doch so ein schöner Artikel in Classic Boat 1991). Und wer bei einem Gaffelschoner mit seinen wohlproportionierten Segelflächen nicht gleich vom weiten Meer und Piraten träumt, der ist eben sowieso nur normal.
1932: The first race
Der teakgetäfelte Salon, großzügig über Schiebtüren mit der Ladies Cabin verbunden, mit Decklights und eigenem Ausstieg, nun, der stank zwar beim ersten Schnuppern nach Bilge, stürmischer Überführung und Hydraulik-…l ....., aber dahinter ahnte man den fernen feinen Duft von altem Portwein und Cohibas. Eindeutig ein "gentlemans ship" eben, keine filigrane Rennziege.
Salon und Ladies cabin. Noch in der Teppich-Zeit - (R. Menzel)
Mein Freund schwärmte von der Grundriss- und Bauqualität, ich mehr von den klaren Decks, dem "pedigree" und den schönen Zeichnungen - Architekten sind eben unverbesserliche Augentiere.
Klar, die Technik (Pumpen, Elektrik und Hydraulik-Motor auf die alte, exzentrische Welle), das war alles very old fashioned - das kriegen wir schon hin, alte englische Autos haben wir auch wieder zum Laufen gekriegt (nur in denen liegen 100 m Kabel, in der Vera Mary 2500 m, davon später). Und Uwe Baykowskis Gutachten über Qualität und Struktur der Yacht war fast schon lyrisch; der untere Fragepreis lag zwar deutlich über unserem Budget, war aber letzten Endes korrekt ...was solls, man lebt nur einmal.
Da wussten wir, wir hatten ein Schiff gekauft, aber immer noch nicht, was uns noch erwartete.
Was hatten wir denn nun eigentlich gekauft? .....
nun, es gab Pläne, das Internet, die Hilfen aus dem Freundeskreis (noch einmal Dank an Volker Christmann), Lloyd `s (das Schiff war 1931 zertifiziert) Archive, es gab CLASSIC BOAT und viel Hilfe aus England, Phantasie und einen langen Restwinter, in dem wir uns ohnehin erst mal von dem finanziellen Schock erholen mussten. Die Recherchen zu Schiff, Mann & Maus ergaben:
Der Konstrukteur J. M. Soper, Southampton:
JOSEPH M. SOPER, 1857 geboren und Zeitgenosse illustrer Namen wie G.L.Watson, W. Fife, Mylne, N.G. Herreshoff, arbeitet als Designer, später auch Manager, für die reputierte Werft J.G Fay & Co.LtD, in Southampton (die später von Camper & Nicholson übernommen wurde). Er galt als handwerklich sehr sorgfältig, künstlerisch begabt sowie technisch mutig und innovativ; seine Risse waren tendenziell breiter (Einfluss Herreshoff) und steifer als die der Konkurrenten, recht robuste, eher strenge Designs auf der Höhe ihrer Zeit.
Bekannt und berühmt wurde 1893 seine 300t- Kutteryacht SATANITA. Sie galt als "the fastest cutter on a reach ever built" und ersegelte viel Regattasilber, zweifelhafteren Ruhm erlangte sie jedoch auch durch Rammen und Versenken der Admirals-Cup Yacht VALKYRIE II 1894 bei einem Ausweichmanöver auf der Frühjahrsregatta in Cowes. Liebevollst und ausführlichst (Journalisten!) beschrieben, sank die VALKYRIE II in genau 7 min, 43 sec, Soper war ein gemachter Mann, zumal die SATANITA in den Folgejahren noch vielen berühmten Zeitgenossen ein Ohr absegelte, unter anderem auch der METEOR .
Über diese rüde Dezimierung der "großen Kutterflotte" war VALKYRIE`s Designer, der feinnervige - "... yacht building may be called the poetry of shipbuilding" - G.L. Watson, "not amused"; dennoch, dies war nun sicher nicht die Schuld seines Kollegen und der wurde trotz oder wegen dieses Malheurs noch bekannter.
Nach der Übernahme seines Arbeitgebers Fay&Co durch Camper&Nicholson gründendete Soper sein eigenes Büro als Designer und Surveyor in seiner Heimatstadt Southampton; erfolgreich und anerkannt, entwarf er etliche größere, stabile Kreuzeryachten, einige Motoryachten und war auch an der Entwicklung der Renn- und Ausgleichformel 1919 in London beteiligt – übrigens unter Vorsitz von Captain Sir Philip Hunloke, den wir bald wiedertreffen, beteiligt.
Soper war mit 75 schon etwas älter, als er Mitte 1931 von dem wohlhabenden Industriellen Mervyn Hamilton-Fletcher beautragt wurde, ihm ein komfortables, seetüchtiges, aber auch regattafähiges "gentlemans ship" zu bauen, in höchster Qualität und frei von allen Einschränkungen und Formelzwängen. Hamilton-Fletcher sollte dem edelsten englischen Yacht-Club, der ROYAL YACHT SQUADRON in Cowes beitreten, dazu gehörte ein standesgemäßes Schiff. Soper konzipierte ihm einen 61 ft – gaffelgeriggten Schoner, ein sehr ästhetisches, leichtes und konzentriertes Rigg. Der Entwurf wurde akzeptiert, 2 Monate später, am 16.10 1931 wurde die renommierte Werft Berthon in Lymington beauftragt, das Schiff sei fertig zustellen "not later than the first of April 1932".
Am 16.4.1932, nach 6 Monaten, bekam Hamilton-Fletcher seine Yacht; einfühlsam und psychologisch geschickt (Männer!) taufte er sie nach seiner Frau auf den Namen VERA MARY. Beken of Cowes machte schöne Fotos von den ersten Regatten. Zufriedenheit überall.
1937
Bis 1935 kreuzt und regattierte die VERA MARY in britischen Gewässern, Hamilton–Fletcher experimentiert ein wenig mit diversen Riggs (Fotos von Beken als Topsegelschoner, mit Wishbone-Rigg etc). Dann tritt 1936 ein neuer Mann in das Leben der damals noch taufrischen Lady; allerdings ein bereits etwas älterer Gentleman.
Lloyd`s Register von 1937
SIR PHILIP HUNLOKE (oder bis 1904 Sir Perceval), geboren 1868, war ein begnadeter Regattasegler in kleineren Bootsklassen, berühmt wurde er später als Segellehrer von King George V. und als Skipper der königlichen Rennyacht BRITANNIA, ein Watson-Entwurf und sicher über einen sehr langen Zeitraum die erfolgreichste Regattayacht ihrer Zeit.
Sir Philip Hunloke auf der BRITANNIA
1935, im Alter von 68 Jahren - die BRITANNIA hat gegen die modernen J - Classes keine realistische Siegchance mehr - zog sich Sir Phil vom Regattasport zurück, zum Abschied schenkte ihm sein königlicher Mentor rasch ein kleines Schiff, eben die VERA MARY.
King GEORGE V and Sir Hunloke
Sir Hunloke and Captain Turner
Zu dieser Zeit noch Commodore der Royal Yacht Squadron, kreuzte Sir Philip mit illustren Gästen auf dem Solent, keine weiten Reisen mehr, dafür aber konservierte im Salon und Ladies Cabin – die vermutlich nie eine echte Lady gesehen hat - der Duft der oben zitierten Cohibas und schweren Portweins die Teak-Täfelung. Jetzt war Vera Mary wirklich ein "gentlemans ship", - gute Pflege, der unwürdige Regattastress Vergangenheit -, sie lag in Cowes und ließ sich bewundern. Beken machte wieder schöne Fotos. Zufriedenheit.
1939 war das faule Leben vorbei, Sir Hunloke zog sich auf den Familiensitz in Wingerworth zurück, unter den neuen Eigner gings ins Mittelmeer, vom Liegeplatz in San Remo und Cannes wurde kaum noch regattiert, sondern als komfortabler, robuste Kreuzer erkundete sie das Mittelmeer. Stories von eigenmächtigen Schmuggeltouren nach Südamerika, mit denen der Kapitän in den Nachkriegswirren sein Heuer aufbesserte, sind unverbürgt, dennoch schön; nach verschiedenen britischen und französischen Eignern, umbenannt in FRANIK II und später HAWAITA, hat das Lotterleben an der Cote d` Azur erst 1982 ein Ende.
Regatten im Mittelmeer (P. Chesworth)
too close for comfort ? (P. Chesworth)
Der Schweizer Rolf Menzel erkennt die unveränderte Qualität unter den vielen Farbschichten; er erwirbt das Schiff in San Remo, bringt es wieder in Schwung. Einige Jahre läuft die Hawaita unter Charter und dient als schwimmendes Fotolabor; am Heck wird unter all der alten Farbe der historische Name VERA MARY wiederentdeckt.
Restaurierung 1990 (Hamble Yacht Service)
Ladies Cabin (Fotos CB, Robin Gates)
Dann, 1989, wieder ein neuer Kerl, der britische Regattasegler Chris Law erwirbt den Topsegelschoner und lässt in 1990-91 sehr umfassend bei Hamble Yacht Service (ex Luke Brothers, später Fairlie) in Port Hamble restaurieren. Neues Rigg von Spencer, neue Motorenanlage; 1991 taucht die Vera Mary auf der Nioularge auf, schöner als zuvor, im Wesen innerlich und äußerlich unverändert.
CLASSIC BOAT bringt einen ausführlichen Bericht über die Restaurierung, VERA MARY ist "back again". Diesmal macht Franco Pace die schönen Fotos auf der Nioularge .
VERA MARY auf der Nioularge und Regatta Imperia
"The Germans to the front", nach 2 recht erfolglosen Kriegen wird deutsche Wiedervereinigung endlich für manchen im Bauwesen eine rechte Erfolgsstory. So kommt die VERA MARY 1995 erstmals in deutsche Hände; Gewinne aus der Wiedervereinigung fließen ohne weite Umwege in eine weitere Restaurierungs- und Umbauphase in England; entscheidend und sehr verdienstvoll die Wiederherstellung des historischen Gaffelriggs nach den alten Segelplänen. Einige mehr oder minder sinnvolle Umbauten im Bereich Vorschiff / Pantry folgen; aber die Struktur des Schiffes und der Innenausbau werden geschont.
Segelplan 1932 von Soper
Unser Solidaritätszutszuschlag wird also gut und sinnvoll angelegt; aber bereits 1996 muss VERA MARY etwas überhastet England verlassen (bedauerlicherweise vor Überholung von Motor und Elektrik). Über dem Eigner, einem notorisch anglophilen Gourmet und Lebenskünstler, brauen sich jetzt Folgeschäden der Wiedervereinigung zusammen. VERA MARY findet nahezu unbemerkt (also erfolgreich) auf den Kanarischen Inseln in Port Mahon Asyl; schon wieder Wohnboot, dämmert sie vor sich hin, unterbrochen von kurzen Schlägen auf den Atlantik. Aber " Every cloud has a silver lining", der Ärger in Deutschland scheint vergessen; da schlägt das Schicksal erneut zu. Diesmal in Form des oben zitierten ostdeutschen Waidmanns.
Zielstrebig bis verbissen sichert er sich das Schiff aus dem Konkurs, nach zähem Ringen geben die Spanier VERA MARY frei. Im Herbst 1999 geht es mit Mann, Maus und etlichen Würmer in die neue Heimat Rostock.
Vera Mary heute: was wir einander verdanken
Die Vera Mary ist immer noch ein zu großes Schiff für den Eigner (der Trost von Peter Gregson: von den Großen Yachten ist sie eine Kleine, "on the Nioularge she can play with the Big Boys without a paid Crew"). Aber auf See schrumpfen Schiffe doch rasch (um im engen Hafenbecken faszinierenderweise wieder zu wachsen) und sie ist leicht und gut zu handhaben. Und wenn's mal wieder Schwierigkeiten gibt, die Crew zu organisieren, ist da ja noch das wunderbare kleine Segel-Dinghi.
"She sails beautifull"; sehr komfortabel und wohl so, wie Soper sich das gedacht hat. Trocken durch das etwas füllige Vorschiff, legt sie sich sehr weich in die Welle, auch bei steifem Wind und Vollzeug krängt sie auf höchstens 18-20 Grad und fährt dann unbeeindruckt auf der Schiene. Etwas demotiviert auf den Am-Wind–Kursen, wird sie bei halben und raumen Kursen mit viel Tuch und Wind wirklich schnell.
Ostsee 2002
Flensburg 2002 (Kai Greiser)
Sie hat einen Liegplatz in Arnis an der Schlei gefunden und kann bei Peter Eberhardts Werft immer rasch auf den Slip, die zeitweilige Schlammpackung (3 m Tiefgang sind viel für die Schlei) erinnert sie sicher an die Themse-Zeiten. Ein richtiger Kapitän aus Eckernförde, nicht so ein sportiver Yachtie, sorgt liebe- und verantwortungsvoll für sie.
Wenn sie am Steg liegt, träumt sie sicher von alten Zeiten, als eben noch echte Gentleman auf ihr segelten. Aber ich denke, sie hat die Bürgerlichen wohlwollend akzeptiert, denn es geht ihr wieder gut, sie bekommt für und in ihrem Alter noch viele Komplimente und Regatta-Ehrgeiz? but for what ? ... Stil ist wichtiger. Sie lernt auf ihre alten Tage noch die Ostsee, Schweden und Norwegen kennen, und wieder ins hedonistische Mittelmeer und den strengen Atlantik wird's in 2-3 Jahren auch noch gehen.
2002 auf dem Weg nach Flensburg (R. Kysela)